Gestern Abend war die Bürgerversammlung zur geplanten Erstaufnahme-Einrichtung

Die Arme verschränkt, die Gesichter mit ernstem Blick, die Sorgen riesengroß – nein, ihr letztes Wort haben die Rotter noch nicht gesagt: Landrat Otto Lederer bekam am gestrigen Abend bei der Bürgerversammlung zur geplanten Erstaufnahme-Einrichtung (wir berichteten mehrfach) genau das mit auf den Weg. Und zwar von allen, die im Saal anwesend waren. Allesamt Rotter Bürger – nur diese hatten Zutritt. Bürgermeister Daniel Wendrock kündigte einmal mehr massiven Widerstand an und sagte zum Abschluss nach dreistündiger Diskussion im Saal: „Ich werde nicht müde werden, meinen Mund aufzumachen.“ Er bekam dafür viel Applaus von den etwa 260 Bürgern im Saal.

Fotos: Renate Drax

Etwa 1.400 sahen sich zeitgleich den Livestream im Internet an und etwa 50 – laut Security – standen draußen und bekamen keinen Einlass mehr wegen Überfüllung beim Stechl-Wirt.

Alexandra, eine Mutter von fünf Kindern, brachte es am Ende für Rott am Mikro so auf den Punkt: „Sie, Herr Landrat, tun so, als hätten wir eine Wahl. Aber Sie bestimmen einfach. Wir sitzen hier und können Ihnen unseren Unmut ausdrücken. Das war’s. Das nervt und ärgert einen sehr.“

Wie im Verlauf der Versammlung klar wurde, ist dieser Unmut riesengroß in der ganzen Gemeinde. Zahlreich gingen die Bürger ans Mikro, um ihre Sorgen, Ängste und auch ihre große Enttäuschung gegenüber der Behörde deutlich auszusprechen.

Bürgermeister Daniel Wendrock (Foto), der die einführenden Worte zur Situation gesprochen hatte, wollte eine sachliche Diskussion und bekam sie auch – trotz der vielen Emotionen. Denn der von ihm eigens als Moderator des Abends eingeladene Mediator Michael Funk (Bild unten) konnte am Ende zumindest das feststellen: „Dankeschön Rott, ihr habt es mir leicht gemacht.“ Eingreifen musste er nämlich wegen verbaler Verfehlungen so gut wie gar nicht …

Zwischen Respekt, dass er sich den Fragen überhaupt stellte und der Einstellung, dass sei ja wohl das Mindeste, was ein Landrat machen müsse – zwischen anfänglichen Buhrufen, ein wenig Applaus und am Ende Rotter Bürgern, die lautstark skandierten: Rott rotiert – Rott rotiert!“ stand Otto Lederer (Bild unten links) vorne auf der Bühne und hatte keinen leichten Stand, als er die Sichtweise des Landkreises (wir berichteten bereits) erläuterte.

Lederer legte zahlreiche Statistiken zur geplanten Unterkunft vor und auch Infos über Abläufe wie über die Essensausgabe in solchen Sammeleinrichtungen. 235 Euro im Monat bekomme jeder Asylbewerber, er dürfe sich frei bewegen und auch die Arztwahl sei beispielsweise völlig frei.

Ziel der Behörde sei es im Namen des Freistaates Bayern die seit einem Jahr belegten Turnhallen in Bruckmühl und Raubling künftig wieder den Schulen und Vereinen für den Sport zur Verfügung zu stellen sowie die ankommenden Personen von Beginn an adäquat unterzubringen, betonte Lederer.

„Standort ist alternativlos“

Entsprechend solle die Einrichtung im Rotter Gewerbegebiet künftig die Kapazitäten der beiden Schulturnhallen als Ankunftseinrichtung ersetzen. Eine geeignete Immobilie in ausreichender Größe sei lange Zeit nicht zu finden gewesen im Landkreis, so der Landrat weiter. Der Standort in Rott sei mangels anderer Angebote daher alternativlos.

Otto Lederer: „Alle zwei Wochen kommt ein Bus mit etwa 50 Personen im Landkreis an  – es geht darum, die Obdachlosigkeit für diese Menschen zu verhindern. Um nichts anderes geht es.“

Der Bauantrag für die Umnutzung der 3.000 Qudratmeter großen Industriehalle am Eckfeld in Rott werde sich auf 500 Personen beziehen, so der Landrat. Im Vorfeld war stets von 250 bis 300 Personen die Rede gewesen. So viele nämlich, wie aktuell noch in den beiden Turnhallen in Raubling und Bruckmühl als Ankunfts-Einrichtungen des Landkreises untergebracht sind.

Einer der Knackpunkt in der Diskussion: Lederer hatte offenbar am 25. September die Unterschrift für den Mietvertrag als Landkreis-Oberhaupt geleistet. Und zwar gültig für fünf Jahre. Am 28. September sei er dann bis 5. Oktober in Urlaub gewesen. Erst am Tag nach der Landtagswahl am 8. Oktober wurde der Rotter Bürgermeister Daniel Wendrock per Telefon von Lederer über das Vorhaben erstmals unterrichtet. Dafür erntete Lederer Kopfschütteln im ganzen Saal.

Warum nur, das wollten viele wissen, gehe man so vor. Es handele sich doch nicht um einen Container mit 35 Menschen, sondern um bis zu 500 Menschen – vielleicht sogar noch mehr – in einem Dorf wie Rott? Der Landrat darauf: „Würde man den Bürgermeister im Vorfeld dieser Unterschrift informieren, würde der Mietvertrag nicht zustande kommen. Da habe man schlechte Erfahrungen gemacht.“ Ein Vorgehen, das für Unverständnis bei den Rotter Bürgern sorgte. So springe man nicht um mit einer Kommune und ihren Bürgern. 

„Was tun Sie für uns?“ Das wollte nicht nur Christine gestern Abend wissen – Solidarität werde verlangt, aber wo sei sie denn, die Solidarität des Landkreises den Rottern gegenüber?

Auch Sophia aus Rott trat ans Mikro und sagte, sie habe schlichtweg Angst. Alleine abends oder nachts in Rott – joggen, mit dem Hund rausgehn – das werde vorbei sein. Diesen Sicherheits-Aspekt sprachen viele an am gestrigen Abend und Markus Steinmaßl, der ebenfalls anwesende Chef der Polizei Wasserburg (Foto unten), erläuterte dazu bisherige Erfahrungswerte von anderen Einrichtungen. Es gebe eine Security und die werde auch im Umfeld anwesend sein, versprach auch der Landrat.

Aber die Rotter Bürger wollten auch das so nicht gelten lassen: Diese Größenordnung einer Flüchtlings-Einrichtung gebe es bislang nicht im Landkreis – selbst eine Turnhalle habe bei weitem weniger Menschen auf so engem Raum. Da seien gar keine Erfahrungswerte da, von denen man sprechen könne …

Besonders bitter empfinden die Rotter die Wahl ihres Dorfes, das wie fast kein anderes in der ganzen Region nach der Flüchtlingskrise 2015 die Ankommenden zahlreich und vor allem dezentral – nicht in Containern – aufgenommen hat. Noch heute würden über 100 Geflüchtete im Dorf leben und seien integriert. Darauf sei man stolz. Niemand dürfe Rott eine Fremdenfeindlichkeit vorwerfen, hatte auch noch einmal Bürgermeister Daniel Wendrock gestern Abend betont. Aber die Grenze sei nun erreicht. Und zwar in allen Belangen – beginnend bei der Infrastruktur.

Und über allem throne die Unmenschlichkeit, die mangelnde Würde den ankommenden Menschen gegenüber, so viele auf engstem Raum in diesem Gewerbegebiet unterzubringen. Ralph aus Rott sprach gar von einer „Käfighaltung“ und Erika meinte, jedes Tier müsse laut offizieller Vorschrift mehr Raum haben bei uns, habe mehr Anspruch als diese Menschen. Das sei völlig unverständlich. Acht Jahre lang habe der Landkreis Zeit gehabt, so Klaus (Foto unten), der direkt am betroffenen Eckfeld wohnt – ein eigenes Containerdorf zu schaffen. Menschlich, sozial und verträglich mit dem Umfeld. Und nichts sei geschehen. Sieben Standorte habe man mit insgesamt etwa je zwei Containern. Das sei absolut enttäuschend, so der Tenor.

Nachdem Landrat Lederer in seinen Ausführungen auch immer wieder den Bund mit der Ampel-Regierung in Berlin als ursächlich Schuldige der ganzen Situation ansprach, konterten auch hier die Rotter Bürger: Was denn mit der leerstehenden, großen Mangfall-Kaserne bei Bad Aibling sei? Da gebe es Küchen-Bereiche, Sanitär-Bereiche und jede Menge Wohnraum – sogar ein Sanitäts-Bereich sei vorhanden. Lederer erwiderte, es habe eine Absage gegeben vom Bund. Aber die Rotter ließen nicht locker: Wo sei denn der Einsatz des Landkreises, den Bund als Eigentümer hier festzunageln und darauf zu bestehen, das als Erstaufnahme-Einrichtung zu gestalten? Passender würde es doch nicht gehen …

Alexandra sagte als Mama von fünf Kindern, dass sie sich große Sorgen mache und große Angst habe. Was denn ihre konkrete Frage sei, wurde sie daraufhin gefragt vom Mediator des Abends und Alexandra antwortete: „Ich möchte meine Sorgen aussprechen – das wird doch möglich sein, dass ich das hier kann.“ Dafür bekam sie viel Applaus im Saal.

Auch Familienvater Christian – 400 Meter entfernt wohnend von der geplanten Asyl-Einrichtung – fürchtet um die Sicherheit der Bürger, vor allem der Kinder und jugendlichen Mädchen. Er wolle niemandem etwas unterstellen, aber die Frage sei doch, wie werde der Schutz ausschauen? Der Landrat sagte, dass jetzt Turnhallen direkt neben Schulen als Einrichtung dienen würden und es mit der Security bisher dort gut funktioniere.

Annalena wünscht sich Selbstverteidgungskurse für die Frauen in Rott, die der Landkreis – also das Landratsamt – anbieten solle.

Martin, selbst Anwohner am Eckfeld, sagte deutlich, kämen 50 neue Flüchtlinge nach Rott, da wäre die Solidarität groß in der ganzen Gemeinde. Aber bis zu 500 Menschen auf 3.000 Quadratmetern – da seien Konflikte programmiert. Das müsse eine Behörde doch sehen. Das sei ein Konzept, das nicht funktionieren könne.