Prozess um die Tötung von Hanna W. geht in die entscheidende Phase

Am kommenden Freitag geht der Prozess im Mordfall Hanna W. in die entscheidende Phase. Staatsanwaltschaft und Verteidigung halten ihre Plädoyers. Die Beweisaufnahme im Fall der Tötung von Hanna W. aus Aschau vor der Jugendkammer des Landgerichts Traunstein wurde gestern abgeschlossen. Die Chronologie eines Mordprozesses:

Hanna W. war am 3. Oktober 2022 von einem Passanten leblos in der Prien bei Kaltenbach entdeckt worden. Die junge Frau, die Medizin studierte und ein fröhliches, lebensfrohes Naturell hatte, war in den Fluten des Bärbachs und der Prien ums Lebens gekommen.

Die Aschauerin hatte in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober die Disco „Eiskeller“ besucht und hatte diesen Ort kurz vor 2.30 Uhr morgens verlassen. Sie wollte nachhause, wo sie aber nie ankam.

Nachdem man am Nachmittag des 3. Oktober 2022 die tote Hanna gefunden hatte, leitete die Kripo sofort Ermittlungen ein, weil man auf Grund der Verletzungen auch von einem gewaltsamen Tod der Studentin ausgehen musste. Und so bildete die Kripo die SOKO „Club“, in der allein 60 Beamte und Angestellte mit der Aufklärung des Todes befasst waren. 1.173 Personen habe die SOKO „Club“ in der Folgezeit vernommen, 1.498 Ermittlungsaufträge bearbeitet, wie es der leitende ermittelnde Beamte der Kripo Rosenheim vor dem Landgericht Traunstein aussagte.

Und so kam mit der Zeit heraus, dass Hanna W. wohl in Aschau in den Bärbach geraten sei und dann 12 Kilometer lang bei den Hochwasser führenden Gewässern Bärbach und Prien hinabgetrieben worden sei, bis sie am Nachmittag, also über 12 Stunden nach dem Verlassen der Discothek in Kaltenbach aufgefunden wurde.

Auch bei „Aktenzeichen XY ungelöst“

Die Kripo hat in der Folgezeit über 100 Gigabyte an Überwachungsvideos bearbeitet und insgesamt über 500 Gigabyte an Daten ausgewertet. Im November 2022 wandte sich die Polizei an die Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ und bat die Fernsehzuschauer um Mithilfe.

Ein Jogger, der in der Tatnacht zum Tatzeitpunkt in Aschau gesehen worden war, wurde zunächst als Zeuge vernommen und dann, für manchen überraschend, im November 2022 als dringend tatverdächtig verhaftet.

Bis Dezember 2022 vernimmt die Kripo die erwähnten 1.173 Personen und erhebt dann im Mai 2023 Anklage gegen den Jogger, der im November 2022 verhaftet worden war. Ende Mai 2023 wird dann das bis dahin verschwundene Handy von Hanna W. gefunden.
Einen Monat später, Ende Juni 2023, lässt das Landgericht Traunstein die Anklage gegen Sebastian T. zu und setzt den ersten Prozesstag auf den 12. Oktober 2023 an.

An diesem Tag wird dann der Prozess wegen Mordes gegen Sebastian T. eröffnet, die Eltern des Opfers Hanna W. erheben Nebenklage. Sebastian T. wird von den Rosenheimer Anwälten Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank vertreten. Die 2. Jugendkammer tritt zusammen und beraumt insgesamt 22 Verhandlungstage an. Für den 22. Dezember 2023 wird die Urteilsverkündung geplant. Angeklagt ist Sebastian T. des Mordes an Hanna W. Doch es kam anders als erwartet.

Bereits am dritten Verhandlungstag nennt die Staatsanwaltschaft dem Gericht den Namen eines Mithäftlings des Angeklagten, der bereit sei, vor Gericht auszusagen. Für den 24. Oktober 2023 wird dieser Zeuge geladen und er belastet den Angeklagten schwer. Sebastian T. habe ihm gegenüber zugegeben, Hanna W. getötet und in den Bärbach geworfen zu haben. Das Gericht erfährt auch einiges über die psychische Gesamtverfassung des Angeklagten. So berichtet der Zeuge von einem Vorfall in der JVA: Man habe über Sebastian T.’s Jugend gesprochen und da habe er in einem Anfall von Wut mit der Faust in die Zellenwand geschlagen und sich mehrere Frakturen der Mittelhandknochen zugezogen.

Und der Zeuge lässt noch ein, dass Sebastian T. eingeräumt habe, dass selbst seine Mutter nicht an seine Unschuld glaube und dass der Angeklagte beim weiblichen Geschlecht immer wieder zurückgewiesen worden sei. Er sei von Frauen immer wieder „bekorbt“ worden, wie der Mithäftling sich ausdrückte.

Der Angeklagte schweigt beharrlich

Die 21-jährige Schulfreundin von Sebastian T. wird zweimal in den Zeugenstand gerufen. Beim ersten Male bringt sie nahezu kein Wort heraus, sodass die vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler den Vorschlag macht, die Zeugen aus einem Nachbarzimmer per Videokonferenz zu befragen. Diese Zeugin berichtet davon, dass sie am 3. Oktober 2022 lange mit dem Angeklagten zusammen gewesen sei. In einem Gespräch habe der Angeklagte sie gefragt: „Hast Du gewusst, letzte Nacht ist ein Mädchen in Aschau umgebracht worden.“ Das Bezeichnende dieser Aussage ist aber, dass zu dem Zeitpunkt, als der Angeklagte ihr dies erzählte, man noch gar nicht wusste, dass die Tote aus der Prien bereits in Aschau getötet wurde. Richterin Aßbichler stellt anschließend die Frage an den Angeklagten: „Hatten Sie da Täterwissen oder haben Sie hellseherische Fähigkeiten?“ Da der Angeklagte während des gesamten Prozessverlaufs hartnäckig und konsequent schweigt, bekommt sie auf diese Frage auch keine Antwort.

Mitte November 2023 gibt es einen Wendepunkt im Mordprozess gegen Sebastian T.: Die Eltern des Angeklagten haben die Strafverteidigerin Regina Rick als Wahlverteidigerin engagiert.

Rick, bekannt als jene Verteidigerin, die für Manfred Genditzki einen Freispruch erwirkte, nachdem dieser 13 Jahre im Gefängnis zugebracht hatte, überhäuft als erstes das Gericht mit Anträgen. Sie will beweisen, dass die Möglichkeit besteht, dass Hanna W. durch einen Unfall ums Leben gekommen ist. Sie bestellt dafür einen Gutachter aus Hamburg, der die Unfallthese stützen soll. Doch das tut der Gutachter nicht. Im Gegenteil. Seine Aussage ist klar, dass ein Unfall eigentlich ausgeschlossen werden muss.

Die neue Situation bewirkt eine neue Zeitplanung des Gerichts. Es werden zusätzliche Verhandlungstage anberaumt, ein Urteil wird jetzt für den 5. März 2024 avisiert.

Am 12. Dezember 2023 wird jener Kriminalbeamte als Zeuge vernommen, der das Handy von Sebastian T. ausgewertet hatte. Zwischen August und November 2022 habe Sebastian T. auf seinem smartphone mindestens 3.198 Webseiten aufgerufen, wovon 97% pornographischer Natur gewesen seien. Speziell in den Tagen vor dem 3. Oktober 2022, dem Tag, an dem Hanna W. zu Tode kam, seien besonders viele Aufrufe protokolliert. Der Beamte möchte dem Gericht einen Clip zeigen, der knapp 20 Minuten lang ist. Die Verteidigerin Regina Rick versucht diese Vorführung zu verhindern und scheitert damit vor dem Gericht. Der Clip wird gezeigt. Er ist ausgesprochen unappetitlich und zeigt eine Vergewaltigung mit physischer Gewaltanwendung. Der Angeklagte, den man während der Präsentation gut beobachten konnte, schaut sich den Clip nicht ein einziges Mal an.

Anfang Januar 2024 sieht sich das Gericht veranlasst, die Anklage gegen Sebastian T. zu erweitern. Nunmehr steht neben der Anklage wegen Mordes auch die Möglichkeit eines Totschlages oder der gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge im Raum.

Und als Anfang Februar der Verteidigung bekannt wird, dass es eine E-Mail Kommunikation zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft gegeben habe, stellt die Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen die Kammer.

Prozess zwei Wochen unterbrochen

Daraufhin wurde der Prozess für zwei Wochen unterbrochen, bis eine am Prozess nicht beteiligte Kammer diesen Befangenheitsantrag geprüft hat. Diese Kammer entscheidet dann, dass eine Kommunikation zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht üblich und sinnvoll sei. Die einzuhaltenden Grenzen seien von der Kammer nicht überschritten worden.

Am 29. Februar 2024 wird dann der Prozess fortgesetzt, die 19 Beweisanträge, die die Verteidigung noch im Januar und Februar 2024 gestellt hatte, werden bearbeitet und zurückgewiesen und nun hat das Gericht die Beweisaufnahme geschlossen. Am 8. März, dem 34. Verhandlungstag, sollen die Plädoyers gehalten werden und am 19. März das Urteil gesprochen werden.

Einen Beweis für die Täterschaft von Sebastian T. gibt es bis heute nicht. Wenige Indizien entlasten ihn, andere Indizien belasten ihn, teilweise schwer. Nicht ohne Grund hat die Verteidigung in diesem Prozess immer wieder versucht, belastende Indizien zu entschärfen, indem man andere Indizien betont, die entlastend wirken können, oder aber, wie im Falle des Mithäftlings, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erschüttern, getreu dem Sprichwort: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“ Den entsprechenden Beweisantrag der Verteidigung hat das Gericht denn auch zurückgewiesen mit dem Hinweis, dass Menschen die einmal gelogen hätten, eben nicht immer lögen. Wie belastbar dann eine solche Aussage ist, ist eine andere Frage.

Der Angeklagte hat in den fünf Monaten der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Traunstein beharrlich und beständig geschwiegen.

Am kommenden Freitag soll es nun die Plädoyers geben. Wir berichten darüber.

 

RP