Eindrucksvolle Darbietung bei den 19. Wasserburger Theatertagen

Das Ensemble „Theaterlust“ aus Haag präsentierte bei den Wasserburger Theatertagen am Samstagabend mit „Der Gott des Gemetzels“ ein boshaft gelungenes Werk über Eltern und deren Verhalten. Wie geht man als Eltern mit einem Streit um, den die zwei acht- bis neunjährigen Söhne miteinander ausgetragen haben?

Es beginnt eigentlich recht harmlos, verweist aber sofort auf Spannungen und Ressentiments. Der Sohn von Alex und Annette Huber hat dem Sohn von Micha und Veronika Rey bei einem Streit zwei Vorderzähne ausgeschlagen. Also beschließen die beiden Ehepaare, sich zu treffen und sich gütlich zu einigen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Veronika hat nämlich bereits einen Text vorbereitet, auf dem der Begriff „bewaffnet“ vermerkt ist. Dieser Begriff wird natürlich von Annette und Alex abgelehnt, wobei die Ablehnung vordringlich von der Mutter vorgetragen wird, denn ihr Mann, der im Pharma-Geschäft tätig ist, wird wiederholt angerufen, weil es in seiner Firma ein ernsthaftes Problem mit einem Medikament gibt.

Die vier Eltern wollen aber die Sache ihrer beiden Söhne gütlich beilegen und verständigen sich auf einen „zivilisierten Umgang“. Ina Meling und Sebastian Edtbauer als Eltern des „Opfers“, wie Ina Meling nicht müde wird zu betonen, sowie Cornelia von Fürstenberg und Matthias Ransberger als Eltern des vermeintlichen „Täters“ versuchen immer wieder, aufeinander zuzugehen und sich versöhnlich zu einigen, aber es gelingt ihnen nicht. Es scheitert zuvörderst an der Idee, der „Täter“ möge sich beim „Opfer“ dafür entschuldigen, dass er ihm mit einem Ast zwei Vorderzähne ausgeschlagen habe. Alex Huber ist schnell bei der Hand mit einer Erklärung. Der Junge lasse sich die Zähne neu machen und dann sehe er besser aus als vorher. Und außerdem „Max is a Wilder, der kann keine Reue zeigen.“ Mit dieser Erkenntnis wollen die Eltern nun aber doch nicht auseinandergehen, sie betonen den Glauben an die zivilisierte Kraft der Kultur.

Annette Huber, wunderbar verkörpert von Cornelia von Fürstenberg, wird plötzlich speiübel. Sie kann den psychischen Druck der Situation anscheinend kaum ertragen. Sie muss sich übergeben und spuckt auf die Kunstbände von Veronika, sehr überzeugend und eindringlich dargestellt von Ina Meling.

Veronika ist empört über diese Tatsache, denn diese Kunstbände sind ihr ein und alles und sie versucht, mit Hilfe eines Föhns, die Reste des Erbrochenen wegzutrocknen. Alex wird immer wieder angerufen und muss versuchen, die Klagen betroffener Patienten, die das Medikament genommen haben, abzuweisen. Seinem Gesprächspartner ruft er zu: „Wir leugnen alles und verklagen die Zeitung!“ In einem ebenfalls parallel geführten Telefonat erfährt Micha, dass seine Mutter just jenes Medikament von Alex genommen hat. Alex nutzt diese Situation für sich und erklärt: „Wenn’s hilft, lass ich Ihre Mutter als Zeugin für mich auftreten!“ 

Dann aber wird dieser Strang der Auseinandersetzung nicht weiter verfolgt, es geht um den Streit der beiden Buben und die Gefangenschaft der Eltern in deren Launen. Als hätte man es bei den „Szenen einer Ehe“ von Loriot abgeschaut, tönt es laut: „Ich lasse mir mein Verhalten nicht von einem neunjährigen Buben bestimmen!“ Als  Veronika erklärt, alle anderen außer ihr seien cholerisch, bekommt sie selbst einen cholerischen Anfall und ab diesem Moment verfolgt das Stück seine eigene Dynamik: Alex ruft: „Wer interessiert sich denn wirklich für was anderes als sich selber?“ und Veronika fragt laut: „Warum können wir nicht leicht sein?“ Mit dem Satz: „Kinder bewirken nichts als Katastrophen!“ nimmt das Geschehen seinen unheilsamen Lauf: Da wird ein Buch ins Gesicht des Ehemannes geschlagen, Annette wirft das Handy ihres Mannes ins Blumenwasser, was ihn zur Replik verleitet: „Mein ganzes Leben ist dahin!“ Als Veronika feststellt, dass sie sehr unglücklich sei und Annette repliziert, dass beide Seiten im Unrecht seien, eskaliert der friedliche Abend. Beide Frauen zerschlagen wie besessen die Blumen, ja zerstören die gesamte Kulisse und als alles vollkommen zerstört ist, fangen sie vorsichtig an aufzuräumen.

Sebastian Edtbauer, der den Micha höchst überzeugend darstellt, hat die bayerische Fassung des Stückes geschrieben, nachdem der Regisseur Johannes Rieder bei der Autorin von „Der Gott des Gemetzels“ die Genehmigung erwirkt hat, dieses Stück ins Bayerische übertragen zu dürfen. Denn Yasmine Reza hatte es eigentlich grundsätzlich abgelehnt, dass von ihrem Stück Dialektfassungen erstellt werden. Die einzige Ausnahme hat die Tochter einer Ungarin und eines Iraners, die aus einer weitverweigten jüdischen Familie stammt, in Paris geboren wurde und dort lebt, eigentlich nur ungern erteilt, ist aber heute zufrieden, es getan zu haben. Denn das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die oberbayerische Dialektfassung, die in Wasserburg von vier gebürtigen Oberbayern gespielt wurde (und damit von reinen „native-speakern“), zeigt, dass die Fallhöhe zwischen der postulierten Zivilisation und dem animalischen Auswuchs der Emotionen nicht ganz so hoch sein mag wie bei der Hochsprache. Das Volkstümliche scheint es ein wenig leichter zu machen. Das Schmale, Hintergründige und Boshafte bleibt aber in der bairischen Übersetzung vollständig erhalten. Die Rauheit der bairischen Sprache verleiht den Figuren allerdings eine Wirkung, der man sich kaum entziehen kann.

Das berühmte Stück, das von Roman Polanski mit Kate Winslet und Christoph Walz verfilmt worden ist, kam nunmehr ganz anders, direkter beim Zuschauer an. Das mag nicht nur daran gelegen haben, dass man im Theater saß, sondern auch an der Mundart, die doch vielen näher sein mag als die Hochsprache. Von daher war es doppelt gelungen.

Mancher mag sich erinnert haben an den einen oder anderen Klassenelternabend, bei dem die so gebildeten und zivilisierten Eltern plötzlich wie die Hyänen übereinander herfallen können, nur weil ihre Kinder irgendeine Dummheit begangen haben. Zivilisation mag vielleicht auch bedeuten, dass man zu seinem eigenen Verhalten eine größtmögliche Distanz entwickelt. Dies ist an diesem Abend wohl nicht gelungen.

Wer an diesem Samstagabend im Theater Wasserburg war, dürfte den Besuch nicht bereut haben. Frenetisch und sehr lange und anhaltend applaudierten das Publikum im voll besetzten Saal das vierköpfige Ensemble. Man hat Theater vom Feinsten miterleben dürfen. Karl Valentin mag einem zum Inhalt des Stückes einfallen: „Der Mensch ist gut, aba d’Leit san schlecht!“

 

PETER RINK / Fotos: Christian Flamm

 

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