Serie: Wasserburg vor 100 Jahren – Teil 6 / Es brodelt zu Ostern

Ostern nähert sich, Eier- und Zuckerpreise steigen, Ideen zu Nächstenliebe, Moral und Frieden wuchern ebenfalls. Was das für Gedanken sind und wie es unterdessen weiter an allen Ecken und Enden gärt, ist in diesem sechsten Teil der Serie „1923″ nachzulesen, für die Peter Rink anhand des damaligen Wasserburger Anzeiger (WA) die Abläufe jener Zeit erforscht und mit den Lesern der Wasserburger Stimme teilt.

Es geht los mit der allgemeinen  …

CHRONIK für die zweite Märzhälfte

16. März:

Nachdem der schwerkranke Lenin bereits im Januar 1923 die Absetzung Stalins vom Posten des Generalsekretärs der KPdSU gefordert hatte, bricht er seine Beziehung zu Stalin ab. Am 20.3.1923 meldet der WA, dass es dem schwerkranken Lenin etwas besser gehe.

In den meisten deutschen Ländern wird die NSDAP verboten. Bayern lehnt allerdings ein Verbot der NSDAP ab.

24. März:

Ein Erdbeben der Stärke 7,3 in der Republik China fordert etwa 5.000 Tote.

Deutschland verbietet seinen Eisenbahnbeamten, mit den Belgiern oder Franzosen zusammenzuarbeiten.

Die Telefonistinnen, die genauso wie die Eisenbahner in Streik getreten sind, erscheinen pünktlich zum Dienst, beschäftigen sich aber an ihrem Arbeitsplatz mit Handarbeiten.

Eingeweihte russische Kreise vermelden, dass der Zustand Lenins hoffnungslos sei, und dass sein Ableben jeden Augenblick zu erwarten sei.

25. März:

Großbritannien trennt Transjordanien von Palästina ab und bildet im Mandatsgebiet Palästina ein selbständiges Emirat.
Daraus entsteht mit der Zeit das Königreich Jordanien.

26. März:

Die zu dieser Zeit berühmteste Frau der Welt ist tot. Die französische Schauspielerin Sarah Bernhardt stirbt in Paris im Alter von 78 Jahren. Die deutschsprachige Presse gewährt ihr ausführliche Nachrufe. Zur populärsten Schauspielerin ist Sarah Bernhardt geworden, weil ihre Reklame unschlagbar war: Sie ließ sich unzählige Male ihren Schmuck aus dem Hotelzimmer stehlen, schlief in einem mitgeführten Sarg, schmückte ihren Hut mit einer ausgestopften Fledermaus, auf Gastspielreisen bekam sie immer wieder einen Blutsturz, trat dann im letzten Augenblick doch noch auf und hustete sich durch die fünf Akte ihrer Lieblingsrolle, der „Kameliendame“. Den größten Nachteil in den Augen der deutschen Öffentlichkeit konnte die „Preußenhasserin“ allerdings nie ausgleichen: Sie war keine Deutsche.

Professor Albert Einstein erklärt in einem Brief an das Sekretariat des Völkerbundes seinen Austritt aus der Kommission für intellektuelle Zusammenarbeit. Er sei zu der festen Überzeugung gelangt, dass der Völkerbund weder die Kraft noch den guten Willen zur Erfüllung seiner Aufgaben habe.

Nach dem Dekret über die Ortsnamen der von Italien annektierten Provinzen soll Südtirol künftig den offiziellen Namen Provinz Trient führen. Zur Unterscheidung zwischen dem südlichen und nördlichen Teil der Provinz werden die Ausdrücke Trentino beziehungsweise Oberetsch festgelegt.

31. März 1923

Papst Pius XI. Veröffentlicht zum Osterfest einen Hirtenbrief, in dem er anregt, dass Frankreich und Deutschland einen Vertrag schließen sollen, in dem sie sich zusicherten, sich nicht gegenseitig anzugreifen.

 

DEUTSCH-FRANZÖSISCHE ANIMOSITÄTEN

In seiner Wochenrückschau fasst der Wasserburger Anzeiger die Besetzung durch Frankreich und Belgien an Rhein und Ruhr wie folgt zusammen:

„An Rhein und Ruhr stehen wildgewordene Horden; steht ein Heer, das seine Gloire täglich selber in den Schmutz zieht; stehen Mörder, Diebe, Frauenschänder. Darüber türmt sich ein Berg deutscher Entrüstung und deutscher Abscheu, so hoch, daß die Lächerlichkeit eines etappenweises Nachgebens des Gegners für Deutschland nicht mehr sichtbar ist. Wenn die Meldung richtig ist, daß auch Belgien vom französischen Meuchelsystem abzurücken beginnt – die Belgier sollen sogar eine anständige Behandlung der deutschen Bevölkerung verlangt haben – dann buchen wir das mit Genugtuung, wollen aber erst den Erfolg sehen.“
(WA 64/1923 vom 17. März)

 

Verwüstungen, Vaterlandsverräter und vaterländische Spender

„In Mainz nimmt sich jeder französische Soldat (ob Schwarzer, Gelber oder Weißer) das Recht heraus, von den Passanten nach Belieben den Paß zu verlangen. Wer zufällig ohne Paß vorgefunden wurde, wurde in den Turnsaal in der Leipnizstraße 8 gebracht und bei frei entblößtem Oberkörper von Marokkanern gepeitscht, während Offiziere lächelnd und Zigaretten rauchend zusahen. Nach dieser Prozedur wurden die Gemaßregelten in den Hof gejagt, wohin ihnen die Oberkleider nachgeworfen wurden. Dieses unerhörte Vorgehen wurde erst eingestellt, nachdem es zur Kenntnis des französischen Zivilgouverneurs Tirard gebracht worden war, der es selbst als Sadismus verurteilte.“
(WA 64/1923 vom 17. März)

„Verwüstete Bahnhöfe. Milliardenschäden von den Franzosen angerichtet. Der Hauptbahnhof, der Güterbahnhof und die Betriebswerkstätte Oberhausen wurden von den Franzosen geräumt. Vor ihrem Abzug haben sie so gehaust, daß der ganze Bahnhof ein Bild grauenhafter Verwüstung bietet. Von amtlicher Seite wurde folgendes festgestellt: Die Räume der Fahrkartenausgabe und der Betrieb des Telegraphenamts sind vollständig verwüstet, die 7 wertvollen Fahrkartendrucker unbrauchbar gemacht, die Telegraphenräume systematisch verwüstet, sämtl. 18 Morse-Apparate kurz und klein geschlagen, die Telephonzentrale wohl mit einem Beil zusammengeschlagen, die Drähte zerrissen, die Apparate vernichtet, die Lichtanlage demoliert. In der Reparaturwerkstätte jedoch übertrifft die Verwüstung die im Bahnhof. Ungeheure Werte wurden hier planmäßig verwüstet, 54 Lokomotiven verschleppt und allein ein Milliardenschaden angerichtet.“
(WA 70/1923 vom 26. März)

Landshut. (Vaterlandsloser Geselle.) Der Kanzlei-Assistent Ettengruber, von hier, der in einer Gastwirtschaft sich mit dem Rufe ‚Vive la France‘ öffentlich für Frankreich bekannte und o unser Vaterland so gemein schmähte, ist für diese niedrige Gesinnung aus dem Staatsdienste entlassen worden.“
(WA 66/1923 vom 21. März)

Aufruf an die Frauen. Die katholischen und die evangelischen Frauenvereine, wie auch eine Anzahl anderer Frauenvereine des gesamten besetzten Gebietes haben in einer stark besuchten Versammlung beschlossen, einen Aufruf an alle deutschen Frauen zu richten, in welchem sie in eindringlichen Worten die Demütigungen, durch die Besatzungstruppen, die materiellen Entbehrungen, die seelischen und sittlichen Gefahren für die Jugend und die rücksichtslose Beschlagnahme von Krankenhäusern, Schulen und Jugendheimen schildern und die Frauen aller deutschen Gaue auffordern, sie in ihrem mit Ruhe und Besonnenheit geführten Kampf in jeder Hinsicht zu unterstützen.“
(WA 64/1923 vom 17. März)

„Gabersee. Die Pfleger und Pflegerinnen der Anstalt Gabersee veranstalteten unter sich eine Sammlung für die Bedrängten des Ruhrgebiets mit dem respektablen Ergebnis eines Betrags von 137.000 Mark. Die Summe wurde als erste Rate an die schwer um das Deutschtum kämpfenden Volksgenossen an der Ruhr übermittelt. – (Alle Hochachtung vor dieser echt vaterländischen Tat!)“
(WA 68/1923 vom 23. März)

Eine Anmerkung zur Meldung aus Gabersee: Die Geschlechter-Unterscheidung des Pflegepersonals wurde nicht nachträglich im Jahr 2023 eingefügt.

 

Über die Nächstenliebe

Kardinal Dubois zur Ruhrfrage. Nach Pressemeldungen hat der Kardinalerzbischof von Paris, Dubois, auf ein Schreiben der schwedischen Bischöfe in der Reparationsfrage geantwortet und dabei behauptet:

  1. Es ist bewiesen, daß Deutschland den Franzosen die Gerechtigkeit verweigere, indem es die Erfüllung der Verträge umgehe.
  2. Frankreich fordert nur, was man ihm schuldet
  3. Die französische Regierung wendet berechtigten Zwang an.
  4. Dabei verfolgt Frankreich nur das Ziel, unerläßliche Forderungen Frankreichs einzukassieren.
  5. Frankreich handelt entsprechend der Forderungen der Gerechtigkeit, ohne die Ansprüche der Nächstenliebe zu verletzen.

‚Wenn das am grünen Holze geschieht!‘ Die deutschen Katholiken können so was nur tief bedauern. Was soll man dann von Poincaré erwarten?“
(WA 71/1923 vom 27. März)

Raymond Poincaré war von 1922 bis 1924 französischer Premierminister und 1914 Staatspräsident. Er galt in Deutschland als großer Deutschenhasser und hatte im Juli 1914 bei seinem Besuch in St. Petersburg dem russischen Zaren Nikolaus II. grünes Licht für eine Kriegserklärung an Österreich-Ungarn und Deutschland gegeben.

 

Über den Frieden

Dunkel ist der Rede Sinn. Die Verhandlungen der deutschen Sozialdemokratie mit den Vertretern der Entente-Sozialisten kamen zum Abschluss. Die sozialistischen Parteien sind entschlossen, ihre Kraft darauf zu vereinigen, dem Ruhrabenteuer möglichst bald ein Ende zu bereiten, und eine endgültige Regelung der Reparationsfrage herbeizuführen, die zur Wiedergutmachung der Kriegsverheerungen führt, den europäischen Frieden wahrt und der Leistungsfähigkeit Deutschlands Rechnung trägt.“(WA 72/1923 vom 28. März)

 

Über die Moral

„Was die Franzosen brauchen können, Geräte, Maschinen, führen sie weg, sie stehlen, rauben, plündern. Um den Preis einer goldenen Uhr erstechen Marokkaner bedenkenlos einen Deutschen. Wie tief liegt Deutschland darnieder! Das Leben seiner Kinder ist den Schwarzen preisgegeben, deren Laune und Willkür. Das allein ist so beschämend. Dabei muß man zusehen, wie deutsche Firmen, um des Geldes wegen, mit solcher Verbrechernation zusammenarbeiten. Da liegt die Frage nahe: Was ist beschämender für unseren deutschen Namen, unsere deutsche Kultur, unsere deutsche Moral: die Fußtritte der Küstenneger oder der Verrat durch Volksgenossen?“
(WA 75/1923 vom 31. März)

 

INFLATION: HOSENKNOPF UND MÄRZZUCKER

Ein Inflationswitz: Beim Leeren der Opferbüchse zur Spende für notleidende Kriegsteilnehmer fand sich unter vielen 1000-Mark-Scheinen auch ein Hosenknopf. Dem hochherzigen Spender sei an dieser Stelle der herzlichste Dank für die reiche Gabe ausgesprochen.“
(WA 64/1923 vom 17. März)

Der Zuckerpreis. Eine amtliche Auslassung legt dar, warum sich eine erhebliche Erhöhung des Zuckerpreises für März nicht vermeiden ließ. Dem Verkaufspreis liegen die Produktionskosten vom Ende Februar zu Grunde. Der inzwischen auf anderen Gebieten eingetretene Stillstand im Steigen der Preise kann sich, falls keine weitere Erhöhung der Produktionskosten bei Zucker eintritt, erst bei der nächsten Verteilung auswirken. Für März hat der Beirat bei der Zuckerwirtschaftsstelle den Preis von 90.000 Mark als angemessen erachtet. Der Reichsernährungsminister hat den Preis auf 81.000 Mark festgesetzt. Hierzu kommen noch die Ortszuschläge, Sortenzuschläge und Frachten, Zuschläge des Groß- und Kleinhandels, so daß für den Märzzucker das Doppelte des Februarpreises zu bezahlen sein wird.“
(WA 67/1923 vom 22. März)

Gegen die vielen Eieraufkäufer. Eine Verordnung des Landwirtschaftsministeriums tritt der tollen Preistreiberei im Eierhandel entgegen, indem sie auf die Herabsetzung der Zahl der „viel zu vielen Eieraufkäufer“ hinwirkt.
(WA 70/1923 vom 26. März)

Gewaltiges Emporschnellen der Selbstmordziffer. Vor dem Kriege hatte Deutschland um ca. 7 Millionen Einwohner mehr als heute, dafür aber „bloß“ durchschnittlich 1000 Selbstmörder in einem Monat, während heute fast in jedem Monat die Zahl der Selbstmord-Kandidaten in Deutschland 5000 übersteigt. An der Spitze steht wohl Berlin mit ca. 200 pro Monat. Bayern schneidet mit am besten ab.“
(WA 73/1923 vom 29. März)

30.000 Mark für ein Kinobillett. Vor dem Ufa-Palast am Zoo in Berlin, wo zur Zeit der Film „Fridericus Rex“ täglich vor ausverkauften Häusern läuft, finden sich allabendlich zahlreiche Billetwucherer ein, die im Vorverkauf Einlasskarten einzeln und zu normalen Preisen erwerben, um sie abends an Besucher, die keine Karten mehr erhalten haben, zu Wucherpreisen (bis zu 30.000 Mark für Parkett) zu verkaufen.
(WA 74/1923 vom 30. März)

 

INNENPOLITIK: BAYERISCHE STAATSREGIERUNG FÜR AUFKLÄRUNG STATT BEKÄMPFUNG

„[Reichskanzler] Dr. Cuno hielt gestern Abend [anlässlich seines Besuchs in Bayern] im alten Rathaussaale [in München] eine hochbedeutsame Rede. Den französischen Ruhrplänen stellte er ein unbeugsames Nein entgegen. Er schloß mit den 2 Sätzen: Recht, unsere Waffe gegen Gewalt – Freiheit das Ziel! Hoch Bayern und Deutschland über alles!

Ein ernstes Wort über die nationalsozialistische Bewegung. Der Finanzausschuss des Landtags hatte sich am Dienstag mit einem sozialdemokratischen Antrag auf sofortige Auflösung aller bestehenden Sturmabteilungen und Stoßtrupps und auf Sicherstellung der verfassungsmäßigen Versammlungsfreiheit zu befassen. Berichterstatter Abg. Schäffer (Bayerische Volkspartei) sprach sich gegen den Antrag aus, da er rechtlich unklar sei. […] Die Antragsteller begründeten ihren Antrag mit eingehenden Darlegungen über die Vorgänge bei nationalsozialistischen Versammlungen in Ingolstadt und Amberg und mit einer Reihe von Münchner Vorkommnissen. Wenn die nationale Diktatur kommen würde, würde auf der anderen Seite wieder die Parole der Diktatur des Proletariats kommen. […] Derartige Zustände müßten aber zur Ausschaltung der Regierungsgewalt führen und zu einem Bürgerkrieg von noch nie dagewesener Furchtbarkeit.

Die Erklärung der Staatsregierung. Staatsminister des Innern Dr. Schweyer nahm in längeren Ausführungen zum sozialdemokratischen Antrag Stellung, indem er u.a. bemerkte: Die politischen Kämpfe haben mehr und mehr Formen angenommen, die jeden ordnungsliebenden Vaterlandsfreund und Staatsbürger mit berechtigter Sorge erfüllen müssen. […] In der jetzigen Zeit, wo der Feind im Lande steht, ist es tief bedauerlich, daß im Hinterland deutsche Volksgenossen in politischer Leidenschaft sich andauernd maßlos bekämpfen und beschimpfen und sich gegenseitig in ihren verfassungsmäßigen Rechten und Freiheiten beeinträchtigen, statt sich mit aller Wucht auf den Gedanken einer einmütigen kraftvollen Abwehr gegen den äußeren Feind einzustellen. […] Die Staatsregierung würde es lebhaft begrüßen, wenn die politischen Kreise aller Richtungen wieder zu dem alten Brauch zurückkehren würden, daß politische Kämpfe nicht mit der Faust oder gar mit Waffen, sondern nur im freien Wettkampf der Geister ausgetragen werden. […] In verschiedenen anderen deutschen Staaten ist die nationalsozialistische Arbeiterpartei als solche verboten worden und der Staatsgerichtshof hat das preußische Verbot nunmehr bestätigt. Demgegenüber steht die bayerische Regierung auch heute noch auf dem Standpunkt, daß es nicht ihre Aufgabe sein kann, eine politische Bewegung als solche zu bekämpfen, daß vielmehr diese Aufgabe der aufklärenden Arbeit in Wort und Schrift und nicht der Polizei vorbehalten werden müsse. […] Unter diesen Umständen bin ich der Meinung, daß der sozialdem. Antrag sowohl nach der tatsächlichen wie nach der rechtlichen Seite über das Ziel hinaus geht.“
(WA 69/1923 vom 24. März)

Anmerkung:
Wir wissen heute, dass eine „Appeasement“-Politik gegenüber Verfassungsgegnern zu einer schrecklichen Diktatur führen kann.
Und wenn wir heute nach Kiew und Moskau schauen, sind diese Debatten wohl aktueller denn je.

 

WAS WASSERBURG UND UMGEBUNG IN DER ZWEITEN MÄRZHÄLFTE 1923 SONST NOCH BESCHÄFTIGTE

Mitnahme von lebenden Tieren als Reisegepäck. Lebende Tiere können als Reisgepäck nur aufgegeben werden, wenn sie in Käfigen, Kisten oder Körben untergebracht sind. Die Aufgabe in Säcken (z.B. von Ferkeln) ist nicht mehr zugelassen.“
(WA 64/1923 vom 17. März)

Wasserburg. Heute mittags 12 Uhr fuhren durch unsere Stadt 2 Panzerautos der Bayer. Landespolizei.“
(WA 66/1923 vom 21. März)

„Aus Edling wird uns geschrieben: Ein Fall ganz unbegreiflicher jugendlicher Verirrung bewegt hier die Gemüter. Zwei größere Volksschüler überfielen vor der Nachmittagsschulzeit einen Buben der Unterklasse, verbanden ihm die Augen im Abort und stopften ihm, um ihn am Schreien zu verhindern, ein Tuch in den Mund. Man zweifelt an dem Verstand der Jungen, wenn man weiter hört, daß sie an dem kleinen Burschen eine Operation vornehmen wollten, die nur dadurch unterblieb, daß infolge des Schulbeginns die Schulkinder in die Schule strömten. Der gequälte kleine Bursche konnte nicht angeben, wer die Täter sind.“
(WA 66/1923 vom 21. März)

Mühldorf. (Die neue Innbrücke.) Dem Verkehr übergeben wurde die vom Innwerk gebaute [Eisenbahn-]Brücke auf der Doppelstrecke Mühldorf- München. Vergangene Woche fuhr der erste Zug über die neugebaute Brücke.“
(WA 66/1923 vom 21. März)

„Salzburg. (Innsbruck, Salzburg und Feldkirch Flughäfen.) Das „Salzburger Volksblatt“ meldet: In Innsbruck ist eine Luftverkehrsgesellschaft gegründet worden, die es sich zur Aufgabe setzt, Flugfelder in Innsbruck, Feldkirch und Salzburg, wo die Plätze schon gesichert sein sollen, auszubauen, den lokalen Verkehr in diesen Städten längstens in 2 Monaten aufzunehmen und die Verbindungsstrecken Innsbruck, München, Konstanz, Feldkirch (Anschluß an die Ad Astra Aero, Zürich) und Innsbruck – Salzburg – Wien mit Post- und Passagierflugzeugen zu organisieren.“
(WA 73/1923 vom 29. März)

Aus der folgenden Meldung kann man herauslesen, über welche Ausdauer die Wasserburger bei Vortragsveranstaltungen verfügten:

Wasserburg. (Lichtbildervortrag.) Es geht uns folgender Bericht zu: Gestern abends 8 Uhr fand im Fletzinger-Saale ein Vortrag über „Geschichtliches im Bezirke Wasserburg“ mit Lichtbildern statt. Der Vorstand der hiesigen Sektion des deutsch-österreichischen Alpenvereins, Herr Oberamtsrichter Schwalber von hier, begrüßte die sehr zahlreichen Besucher. Anschließend begann Herr Jörg Huber-Ramerberg seine 2-stündigen, sehr interessanten Ausführungen. Besonders bemerkenswert waren seine Bemerkungen über die Zusammenhänge zwischen kirchlicher und staatlicher Macht in früheren Zeiten, über verschiedene historische Funde hiesiger Gegend, über Verkehrswege nach Italien und die Entwiclung der Klöster Attel, Rott, Altenhohenau, Gars, Haag, Isen und über das Haager Schloß wie dessen Bewohner. Die nun folgende Lichtbilderschau dauerte 1 1/2 Stunden. Besonderen Beifall fanden die Bilder aus dem besetzten Gebiet und die warmen Gedenkworte an die bedrängten Volksgenossen an Rhein und Ruhr. – Die Ausführungen fanden ungeteilten, stürmischen Beifall. Der gesamte Reinertrag wird zum Besten der Ruhrhilfe Verwendung finden.“
(WA 67/1923 vom 22. März)

Amerang. Die Ortsbewohner von Oberratting, Unterratting, Meilham und Thalham werden mit einer elektr. Licht- und Kraftanlage versorgt, welche demnächst fertiggestellt wird. Kostenaufwand 50 Millionen Mark, welche bereits bezahlt sind.“
(WA 68/1923 vom 23. März)

„Aschau. (Hochherzige Spende.) Baron v. Kramer-Klett hat auf Ansuchen des Bürgermeisters von Prien um verbilligtes Holz für die arme Bevölkerung einen ganzen Waggon schönstes, erstklassiges Buchenholz vollständig unentgeltlich gestiftet. Es konnten damit 63 bedürftige Familien beschenkt werden.“
(WA 69/1923 vom 24. März)

Der Stadtrat Wasserburg hat folgenden Erlass bekannt gegeben:
Es ist verboten, während der Saatzeit Hausgeflügel auf fremde Felder auslaufen zu lassen u. den Tauben freien Flug zu gestatten. Als Saatzeit für das laufende Jahr gilt die Zeit von Anfang April bis 15 Mai 1923.
Wasserburg a. I., den 26. März 1923, Stadtrat Wasserburg a. Inn

Und abschließend der lokale Wetterbericht:
Wasserburg. Gestern, am Gründonnerstag, hat sich über unserer Stadt das erste Gewitter mit einigen kräftigen Donnerschlägen entladen. Man möchte die Hoffnung daran knüpfen, daß es als richtiges Gewitter seine Sache gut und für die Osterfesttage einer kräftigen Frühlingssonne die Bahn frei mache.
(WA 74/1923 vom 30. März)

 

Im April gibt es in Wasserburg Rationierungen für Brot und Zucker, die Deutschen scheinen mit ihrem passiven Widerstand gegen die Franzosen teilweise erfolgreich zu sein und die USA wollen Deutschland wohl wieder in die Völkerfamilie eingliedern …

…  wie in Teil 7 der Serie zu lesen sein wird, die in Kürze folgt.

PETER RINK

Bildernachweis:

Vorlage für das Titelbild/Serienlogo:
Rückseite des Gutscheins (Notgeld) der Stadt Wasserburg aus dem Jahr 1923 über eine Million Mark mit Zeichnung der Innfront/Burg vom Südufer des Inns (Rothmaier, 1920)

Gutscheinbild:
Vorderseite des Gutscheins der Stadt Wasserburg

StadtA Wasserburg a. Inn, IVd3, Repro/Fotobearbeitung: Matthias Haupt