Am Beispiel eines Bachmehringer Todesfalls: Großes Interesse für Vortrag des Heimatvereins zur Kriminalgeschichte

War es Selbsttötung oder war es Mord? Mit dieser Frage beschäftigten sich Dr. Ulrike Hofmann, Historikerin aus München und Archivarin im Staatsarchiv München, und Ludwig Waldinger, Kriminalhauptkommissar beim Landeskriminalamt München, bei ihrem gemeinsamen Vortrag im Gimplkeller in Wasserburg (Titelbild). Eingeladen hatte der Heimatverein Wasserburg, dessen Vorsitzender Peter Rink die sehr zahlreich erschienenen Gäste begrüßte. „Ein solch großes Interesse freut uns so sehr“, meinte Rink und stellte den Zuhörenden die beiden Referenten vor, die nach der Begrüßung unter dem Titel „Aktenzeichen 1 KL-So 59/42 – Die Ermittlungsakte Cäcilie Bauer“ über einen rätselhaften Todesfall aus dem Jahr 1942 sprachen. Der Tatort war ganz in der Nähe – in Bachmehring auf dem Stemmerhof. Verwandte des Toten waren auch zu dem Vortrag gekommen und konnten historische Fotos zeigen.

Und so begann die Geschichte: Cäcilie Bauer war eine Magd, sie war 25 Jahre alt. Sie stammte aus Wolfratshausen und arbeitete auf dem Stemmerhof (Bild: Stadtarchiv Wasserburg), wo sie sich um den 59-jährigen gehörlosen Fuhrknecht Leonhard Eder kümmerte und mit ihm wohl auch eine Liebesbeziehung unterhielt. Jedenfalls wollte Leonhard Eder, den man wegen seiner Gehörlosigkeit „Stummerl“ nannte, die Magd Cäcilie heiraten. Aber am 2. Februar 1942 gegen 13.15 Uhr fand Cäcilie Bauer Leonhard Eder (Familienbild privat; links) blutüberströmt und tot in seinem Bett.

Ulrike Hofmann schilderte diesen Fall aus den Originalakten, die sie alle hat einsehen können. Im anschließenden Gespräch meinte sie, dass die Recherche an diesem Projekt über zwei Jahre in Anspruch genommen hat, da sie nur in ihrer Freizeit daran habe arbeiten können.

LEICHE ZUNÄCHST FREIGEGEBEN, DANN DOCH NOCHMAL UNTERSUCHT

Ludwig Waldinger, Kriminalhauptkommissar in München und stellvertretender Pressesprecher des Landeskriminalamtes, nahm sich der Frage an, ob so ein Vorgehen wie 1942 heute auch noch möglich wäre und beleuchtete die Hintergründe kriminalistischer Arbeit. Die Staatsanwaltschaft Traunstein und das Amtsgericht Wasserburg seien sich jedenfalls schon zwei Tage nach dem Tode Leonhard Eders darüber einig gewesen, dass eine Einwirkung Dritter auszuschließen sei. Dann sei die Leiche freigegeben worden. Erst danach sei die Erkenntnis eingetreten, dass es hier wohl doch nicht mit rechten Dingen zugegangen sein müsse. Cäcilie Bauer habe zu Protokoll gegeben, dass „der Stummerl sich die Kehle aufgeschnitten“ habe. Waren die Aussagen von Cäcilie Bauer richtig? Hatte sie Geld von Leonhard Eder genommen? „Eder hat niemanden an seine Kasse gelassen“, ergänzte Ulrike Hofmann. Knapp 3.000 Reichsmark hätten sich darin befunden. Deshalb habe man am 6. Februar, also vier Tage nach dem Tod, die Leiche nochmals geöffnet und festgestellt, dass er sich die tödlichen Verletzungen selbst beigebracht haben kann. Nach erneuter Untersuchung habe dann die Staatsanwaltschaft Traunstein am 24. März das Verfahren endgültig eingestellt. Für eine Schuld der Cäcilie Bauer gebe es „keine Anhaltspunkte“.

Ludwig Waldinger führte dazu aus, dass heute zuerst die örtliche Polizei komme und dass drei Formen des Versterbens unterschieden würden: auf natürliche Weise, auf unnatürliche Weise und auf ungeklärte Weise. Dann komme sofort der Kriminaldauerdienst zum Tatort, gegebenenfalls die Spurensicherung und ein Arzt: „Nur ein Arzt darf den Tod feststellen“ und eine entsprechende Bestätigung ausstellen. Waldinger ergänzte, dass Obduktionen heutzutage teilweise auch unter großem Zeitdruck von Statten gingen. „Nur ein Viertel der Ärzte entkleidet die Leiche“ und „nur 5 Prozent der Toten werden obduziert“. In Deutschland gebe es heutzutage etwa 900.000 Tote im Jahr.

POTENZIELL SCHULDIG: RECHTSVERSTÄNDNIS IN KRIEGSZEITEN

Waldinger beantwortete aber auch die Frage, warum die Polizei 1942 gehandelt hat, wie sie es tat: Es habe wegen des Krieges, immerhin befand man sich im dritten Kriegsjahr des 2. Weltkriegs, einen großen Personalmangel gegeben, viele Fliegerangriffe hätten eine kontinuierliche Arbeit behindert, die Obdachlosigkeit der Bombenopfer kam da noch hinzu. Er sprach auch kurz über die Organisationsstruktur der Polizei im NS-Staat: Es habe neben der Schutzpolizei die Sicherheitspolizei gegeben, die ihrerseits in Kriminalpolizei (Kripo) und Geheime Staatspolizei (GeStaPo) untergliedert worden sei. Heinrich Himmler als Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei habe stets auf ein Rechtsverständnis hin gearbeitet, in dem nicht jeder für unschuldig gilt, dessen Schuld noch nicht hat nachgewiesen werden können, sondern jeder als potenziell schuldig zu gelten habe. Deshalb wollte man auch verhindern, dass Verbrechen begangen werden können. Die „Schutzhaft“ von potenziellen Straftätern, die noch keine Straftat begangen hatten, in „Konzentrationslagern“ geschah auch auf sein Betreiben hin. „So ein Mord in Bachmehring kam da schon gelegen“, erläuterte Waldinger dem gebannt zuhörenden Publikum.

CÄCILIE BAUER WIRD VON IHRER SCHWESTER BESCHULDIGT

Im Fall Leonhard Eder kam die Wende mit dem 10. Mai 1942, wie die Historikerin weiter ausführte. An diesem Tage hat nämlich Cäcilie Bauers Schwester Auguste Brandl Strafanzeige bei der Kripo München erstattet. Sie beschuldigte ihre Schwester Cäcilie, Leonhard Eder ermordet zu haben. Daraufhin wurde Cäcilie Bauer in Wolfratshausen verhaftet und kam in Untersuchungshaft. Sie hatte insgesamt sechs Geschwister und stammte aus sehr ärmlichen Verhältnissen. Da sie schon als Kind hungern musste, war sie häufig krank und genoss auch deshalb nur eine unzureichende schulische Bildung. Später war sie immer wieder arbeitsunfähig. Die Stelle als Hausmagd am Stemmerhof war für sie ein sozialer Aufstieg. Sie verdiente zirka 30 Reichsmark im Monat. Sie galt als sehr fleißig, aber nicht als ehrlich, weil sie recht häufig gelogen habe. Sie freundete sich mit Leonhard Eder an, wollte ihn wohl aber nie heiraten. Sie versprach ihm die Ehe, war aber anscheinend vordringlich an seinem Geld interessiert. Und sie nahm immer wieder Geld von Leonhard Eder, weil sie Anschaffungen tätigen wollte.
Der Mann ihrer Schwester war wohl wütend auf Cäcilie Bauer, weil sie kein Haushaltsgeld zahlte.

Die Untersuchung der Leiche ergab Waldinger zufolge, dass Eder hätte Linkshänder sein müssen, wenn er sich die Verletzungen selbst beigebracht habe und sich hätte töten wollen. Er war aber nachgewiesermaßen Rechtshänder.

ERST SCHLAFTABLETTEN, DANN EIN MESSER?

Ulrike Hofmann ergänzte aus ihrer Kenntnis der Akten den Verlauf der Verhöre nach ihrer Verhaftung:
Am 19. und 20. Mai 1942 sei Cäcilie Bauer verhört worden. Ein Anwalt sei ihr nicht zugebilligt worden. Man habe sie vor dem Sondergericht München angeklagt. Die Sondergerichte waren bekannt dafür, dass ein „kurzer Prozess“ möglich war. Cäcilie Bauer soll in diesem Verhör gestanden haben, Leonhard Eder getötet zu haben. Später habe sie dieses Geständnis widerrufen, die Tat erneut zugegeben und nochmals widerrufen. Ulrike Hofmann schildert den Ablauf des 2. Februar 1942, wie er sich aus den Akten ergeben habe: Leonhard Eder habe Cäcilie Bauer heiraten wollen, sie habe abgelehnt, daraufhin sei er aggressiv geworden, daraufhin habe sie in die Heirat eingewilligt und habe ihm 16 Schlaftabletten „Phanodorm“ ins Bier gemischt, das er ausgetrunken habe. Sie sei von einer tödlichen Wirkung dieser Überdosis Schlaftabletten überzeugt gewesen.

Doch Eder überlebte, wie Hofmann weiter erläuterte. Er schlief zwar lange, wachte aber am Vormittag des 2. Februar wieder auf. Beim Verhör habe die Angeklagte zugegeben, in einem weiteren Anlauf zu einem Messer gegriffen zu haben und ihm zunächst die Pulsadern aufgeschnitten und später die Halsschlagader durchtrennt zu haben. Wie oft sie zugestochen habe, konnte sie nicht mehr sagen, aber Leonhard Eder sei tot gewesen und sie habe es getan, weil sie Angst gehabt habe, das veruntreute Geld, es war von knapp 3.000 Reichsmark die Rede, zurückgeben zu müssen.

HINGERICHTET MIT DEM FALLBEIL

Im Gefängnis veränderte sich die junge, lebensfrohe Frau: Den Ausführungen der Historikerin zufolge wurde sie schwermütig und versuchte durch Schmuggelbriefe über ihre Schwägerin, die sie im Gefängnis traf, Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen, die Briefe wurden aber abgefangen und ihr dann zur Last gelegt. Im September 1942 sei sie angeklagt worden, Leonhard Eder „vorsätzlich, heimtückisch und aus Habgier“ ermordet zu haben. Seit Herbst 1941 habe sie eine Tötungsabsicht gehabt. Das Sondergericht München verurteilte sie zum Tode, im Dezember 1942 wurde sie dann mit dem Fallbeil hingerichtet.

Ludwig Waldinger erläutert dazu kurz die Stellung der Sondergerichte: Man habe im Interesse des „kurzen Prozesses“ die Rechte der Angeklagten eingeschränkt. Der Angeklagte hatte nicht das Recht, jederzeit von seinem Anwalt begleitet zu werden. Die Aufgabe des Verteidigers sei es auch nicht gewesen, die Rechte des Angeklagten zu wahren, sondern vielmehr mussten „die Interessen des deutschen Volkes“ gewahrt werden. Schließlich wurde noch über die Tatwaffe gesprochen. Die Anwesenden erfuhren, dass Messer eine nicht erlaubte Waffe sind, wenn sie beispielsweise feststehend seien oder ihre Klinge eine bestimmte Länge übersteige.

Wasserburg erlebte an diesem Abend einen hochinteressanten Vortrag über ein Verbrechen, das so wohl heutzutage nicht mehr verhandelt werden könnte – dem Rechtsstaat sei Dank. Die Schwester Cäcilie Bauers wurde übrigens zu vier Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie ihre Schwester nicht sofort angezeigt hat, nachdem sie von dem Verbrechen erfahren habe. Interessierte Fragen aus dem Publikum rundeten den Abend ab, der recht lange dauerte, aber stets kurzweilig blieb.