Innovative Wachkraniotomie wird ab sofort am RoMed-Klinikum in Rosenheim praktiziert

Wenn ein Tumor in der Nähe lebenswichtiger Hirnregionen wächst, wird jede Entscheidung zur Gratwanderung. Besonders herausfordernd ist die Entfernung von Tumoren in der Nähe des Sprachzentrums. Um diese sensiblen Areale zu schonen und bei der Operation nicht zu gefährden, ist eine hochpräzise Methode erforderlich: Die Wachkraniotomie. Ab sofort wird dieser komplexe Eingriff am RoMed-Klinikum in Rosenheim angeboten.
Dr. Georgios Ntoulias (links), Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie und Privatdozent Dr. Andreas Bauer (rechts), Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, erklären in unserem Interview, wie die Operation abläuft, wie Patienten vorbereitet werden und warum das Verfahren für die Region so bedeutsam ist.

Dr. Ntoulias, was genau ist eine Wachkraniotomie und wann wird sie angewendet?

Dr. Ntoulias: Eine Wachkraniotomie ist ein chirurgischer Eingriff, bei dem wir erkranktes
Gewebe im Gehirn operativ entfernen, während der Patient zwischenzeitlich wach, aber
sediert ist. Das ist notwendig um sicherzustellen, dass durch die Operation keine kritischen
Bereiche – sogenannte eloquente Hirnareale – beschädigt werden, die die Motorik und
Sprache steuern. Diese Regionen lassen sich unter Vollnarkose nicht sicher lokalisieren. Nur
indem wir während des Eingriffs direkt mit dem Patienten kommunizieren und wichtige
Gehirnfunktionen in Echtzeit testen, erkennen wir jene Areale, die unbedingt geschont werden
müssen. Die Läsion kann auf diese Weise möglichst vollständig und gleichzeitig sicher entfernt
werden. Das ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Operation.

Wie nehmen Sie dem Patienten die Angst vor der Operation, Dr. Bauer?

Dr. Bauer: „Die Vorbereitung auf eine Wachkraniotomie ist ein entscheidender Prozess.
Wir wissen, dass es für den Betroffenen eine große Herausforderung sein kann, während der
Operation bei Bewusstsein zu bleiben. Daher ist es uns sehr wichtig, den Patienten im ersten
Schritt über den Ablauf und die Besonderheiten der Wachkraniotomie ausführlich aufzuklären.
Gemeinsam besprechen wir, ob es medizinische Ausschlusskriterien gibt – wie etwa
unkontrollierten Husten oder Schlafapnoe, die den Eingriff erschweren könnten. Des Weiteren
erfassen die Kollegen der Neurochirurgie mittels Sprachtests die sogenannten Baseline-Werte
über die kognitive Ausgangslage des Patienten, um im Verlauf der OP die Veränderungen der
Sprachfähigkeit genau einzuordnen. Da er während des Eingriffs ermüden kann, ist es extrem
wichtig, die Veränderung der Sprachleistung korrekt einordnen zu können. So kann es
vorkommen, dass sich die Sprachfähigkeit vorübergehend verschlechtert – etwa durch
Müdigkeit oder nachlassende Konzentration – sich jedoch nach der Operation wieder
vollständig normalisiert.

Wie läuft die OP konkret ab und was erlebt der Patient während des Eingriffs?

Dr. Bauer: „Die meisten Patienten sind zu Beginn der Operation durch sanft dosierte,
beruhigende Medikamente sehr entspannt. In der ersten Phase schlafen sie leicht sediert. Sie
müssen sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht aktiv beteiligen, was für viele eine große
Erleichterung bedeutet. Durch unser neurochirurgisches Team wird dann ein sogenannter
Scalp-Block durchgeführt, eine gezielte örtliche Betäubung des Kopfbereichs, der dafür sorgt,
dass keinerlei Schmerzen empfunden werden. Das Gehirn selbst besitzt keine
Schmerzrezeptoren – der eigentliche Eingriff verläuft also völlig schmerzfrei.“

Dr. Ntoulias: „Diese frühe Ruhephase nutzen wir, um die Operation sicher und präzise
vorzubereiten. Sobald wir jedoch in die Nähe hochsensibler Hirnareale gelangen – etwa des
Sprachzentrums –, beginnt die entscheidende Phase: Wir wecken den Patienten sanft auf. Wir
sprechen mit ihm, zeigen Bilder, stellen einfache Fragen oder bitten ihn, kleine Aufgaben zu
lösen. So überprüfen wir gezielt Sprachfähigkeit, Reaktion und motorische Funktionen – und
beobachten gleichzeitig, welche Hirnareale dabei aktiv sind. Diese Rückmeldungen in Echtzeit
sind für uns von unschätzbarem Wert. 

Sie erlauben es uns, den Tumor millimetergenau zu
entfernen und dabei jene Bereiche zu schützen, die für Sprache, Denken und Bewegung
essenziell sind. Das ist ein hochpräziser Balanceakt – aber auch ein sehr persönlicher
Moment. Denn unser Ziel ist es nicht nur, den Tumor zu entfernen, sondern dem Patienten
auch seine Lebensqualität zu erhalten. Genau darin liegt die besondere Stärke der
Wachkraniotomie. Nach dem Eingriff bleibt der Patient noch einige Tage zur Beobachtung in
der Klinik – meist erholt er sich rasch und kann, abhängig von seinem Gesundheitszustand,
zeitnah wieder nach Hause zurückkehren.“

Was macht es für Sie besonders, die Wachkraniotomie nun auch regional verfügbar zu
machen?

Dr. Ntoulias: „Es ist eine bedeutende Entwicklung, die für uns und vor allem für die Menschen
in der Region einen echten Fortschritt darstellt. Als Neurochirurg habe ich die
Wachkraniotomie bereits über viele Jahre hinweg angewandt, und nun meine Expertise und
Erfahrung in Rosenheim anbieten zu können, erfüllt mich mit besonderer Freude. Doch ein
solcher Schritt erfordert mehr als nur individuelles Know-How: Dass wir dieses komplexe
Verfahren nun mit einem hervorragenden, interdisziplinären Team durchführen können, ist das
Ergebnis intensiver Vorbereitung:

Schulungen, Workshops und eine gezielte Hospitation in
einem erfahrenen Zentrum haben dafür gesorgt, dass alle Beteiligten – sowohl unsere Ärzte
als auch das OP-Pflegepersonal – optimal aufeinander eingespielt sind. Diese enge
Zusammenarbeit war entscheidend für den erfolgreichen Start. Unsere Patientinnen und
Patienten profitieren nun von hochmoderner Medizin direkt vor der Haustür, in einem
vertrauten Umfeld. Das macht nicht nur den Eingriff selbst leichter, sondern wirkt sich auch auf
den gesamten Heilungsprozess positiv aus.“