Münchner Kammerphilharmonie „Dacapo" begeisterte mit außergewöhnlichem Konzert

Neujahrskonzerte im historischen Rathaussaal, das hat in Wasserburg Tradition. Während die Wiener Philharmoniker am Neujahrstag ihr Neujahrskonzert aufführen, so fand dies in Wasserburg bisher immer am 6. Januar, dem Dreikönigstag, am Vormittag statt. Doch 2023 ist nun alles anders. Nachdem das traditionelle Neujahrskonzert am 6. Januar ausfallen musste, trat nun heuer die „Münchner Kammerphilharmonie Dacapo“ in Wasserburg auf, am 4. Februar.  Wenn es Konzerte im Historischen Rathaussaal in Wasserburg gibt, dann ist der Saal meist gut gefüllt, aber an diesem Abend war es außergewöhnlich: Die Menschen strömten in den Saal, bis vor das Eingangstor hatte sich eine Warteschlange gebildet. Und das Warten wurden mit einem Feuerwerk an Virtuosität belohnt.

Das Orchester, ein Streichorchester mit neun Violinen, drei Bratschen, zwei Celli und einem Kontrabass, ergänzt, je nach Bedarf mit Blechbläsern, einem Schlagzeug und auch einem Cembalo, wurde 2000 von Franz Schottky gegründet und seither geleitet. In seinen einleitenden Begrüßungsworten erläuterte der Chefdirigent das Ziel der „Münchner Kammerphilharmonie Dacapo“: Es sei das Konzept dieses Orchesters, jungen Talenten die Möglichkeit der Entfaltung zu geben und ihnen damit die Chance zu eröffnen, einen höheren Bekanntheitsgrad zu erreichen. Und wenn dann noch die Möglichkeit bestünde, in diesem wunderschönen historischen Rathaussaal Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ darzubieten, dann sei der Künstler begeistert.
Und anschließend stellte er Simon Luethy vor, einen in Augsburg geborenen 22-jährigen Violinisten, der anschließend das Violinsolo für Antonio Vivaldis „Die Vier Jahreszeiten“ zu Gehör brachte.

Teil 1: Vivaldi
Franz Schottky erläuterte die Abfolge des ersten Teil dieses Abends – Antonio Vivaldis Sammlung von vier Violinkonzerten, die unter dem Namen „Die Vier Jahreszeiten“ bekannt geworden sind und die wohl das berühmteste Werk des venezianischen Komponisten sein dürften. Er erläuterte dem Publikum auch, dass Vivaldi zu jedem Violinkonzert der „Vier Jahreszeiten“ ein Sonett gefertigt habe, in dem er die Jahreszeit lyrisch zu erklären versucht. Die Anwesenden erfuhren, dass der Sommer gar nicht die herbeigesehnte Jahreszeit sei, sondern jene, in der man leidet, die Hirten nicht einschlafen können, weil Insekten sie nicht schlafen ließen. Der Sommer werde deshalb die „harte Jahreszeit“ genannt.  Im Herbst („L’Autumno“) gebe es dann den Traum des Hirten, der durch das Cembalo musikalisch umgesetzt werde. Der Solist sei hier aber nicht der Hirte, sondern ein Reh (musikalisch interpretiert durch die Violine). Schließlich komme der Winter („L’Inverno“), wo man hören könne, wie der Donner wegziehe und die Menschen am Kamin säßen. Schließlich gebe es dann noch den Rutsch auf dem Eis, das dann einbreche, auch das ein Ergebnis der Erfahrung des Venezianers, denn das Eis ist hier wohl nie so fest wie im nördlicheren Europa.

Schottky ergänzte, dass Vivaldi seine „Le Quattro stagioni“ ungefähr zwanzig Verlegern angeboten habe; etwas, das im digitalen Zeitalter wohl nicht mehr möglich sei. 1725 erschien das gedruckte Werk ziemlich gleichzeitig in Amsterdam und Paris. Der Titel legt es eigentlich nahe: Hier werden Naturerscheinungen imitiert, wie etwa sanfte Winde, aber auch heftige Stürme und Gewitter. Daneben imitiert Vivaldi in den vier Violinkonzerten verschiedene Vogelstimmen und sogar einen Hund. Weiterhin werden menschliche Aktivitäten wie die Jagd, das Schlittschuhlaufen und auch der Schlaf eines Betrunkenen imitiert. Damit zählen die „Vier Jahreszeiten“ zu den bedeutenderen Werken der Programmmusik im Barock.

Virtuosität, die ihresgleichen sucht
Was das Publikum in den anschließenden knapp sechzig Minuten hören durfte, war außergewöhnlich. Simon Luethy spielte auf seiner Violine in einer Virtuosität, die ihresgleichen suchen dürfte. Simon Luethy spielt seit 2017 auf einer Geige von Nicola Gagliano, ein Instrument, das im Jahre 1763 gefertigt worden sein dürfte. Und er vermochte es nicht nur bei den Rondomodulationen oder bei den sich häufig wiederholenden Orgelpunkten sein Publikum zu begeistern. Stets hatte Luethy seine Violine fest im Griff und konnte durch seine sehr hoch entwickelte Fähigkeit, langsame, eher leise Passagen mit temperamentvollen Momenten blitzschnell abzuwechseln, überzeugen. In der Fachwelt wird Luethy bereits als „Young Paganini“ gehandelt, zumal er den gleichnamigen internationalen Wettbewerb bereits gewonnen hat.
Als die vier Violinkonzerte zu Gehör gebracht worden waren, war das Publikum begeistert und hingerissen. Nicht wenige haben es sehr bedauert, dass Luethy keine Zugabe präsentierte.

Nach der Pause: Lehár und Strauß

Nach der Pause wechselte das Programm ins 19. Jahrhundert und man bewegte sich auch von Venedig nach Wien, so wie es Antonio Vivaldi an seinem Lebensabend auch tat. Walzer und Polka standen auf dem Programm. Es begann mit dem „Gold und Silber – Walzer op.79“ von Franz Lehár. Diesen Walzer hatte Lehár 1902 komponiert und läutete damit wohl auch jene Epoche ein, die die Zeit der „Silbernen Operettenära“ einläutete. In Abgrenzung zur „Goldenen Operettenära“, also der Operettenmusik der Zeitgenossen von Johann Strauß, wurden die Operetten Franz Lehárs und seiner Zeitgenossen in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts häufig als „Silberne Ära“ bezeichnet.
Carl Michael Ziehrers „Schneidig! Polka op. 387“ wurde daran anschließend zu Gehör gebracht, gefolgt von der „Tritsch-Tratsch-Polka“ von Johann Strauß jun. Hierzu erzählte Schottky eine kleine Anekdote: 1858 sei Johann Strauß von einer großen Tournée aus Russland nach Wien heimgekehrt, und da die Presse in Wien die Frage behandelte, ob der „flotte Jean“ (gemeint war Johann Strauß) sich in Petersburg frisch verliebt, verlobt oder gar verheiratet habe, komponierte Strauß diese Polka, freilich auch auf die Zeitschrift „Tritsch-Tratsch“ anspielend, die damals in Wien publiziert wurde.
Mit der Polka „Wo man lacht und lebt“ von Eduard Strauß, dem Bruder von Johann Strauß jun., und dem abschließend dargebrachten „Kaiserwalzer“ von Johann Strauß jun. endete dieses außergewöhnliche Neujahrskonzert, womit dem Wasserburger Publikum im Rathaussaal wieder einmal außergewöhnlich gut dargebotene Musik nahe gebracht werden konnte.

Der lang anhaltende, nicht enden wollende Applaus motivierte dann auch das Ensemble zu Zugaben. Zunächst der obligate „Radetzky-Marsch“ von Johann Strauß jun. und dann wurde die „Tritsch-Tratsch-Polka“ noch einmal gegeben. Das Publikum verließ an diesem Abend erfüllt und beschwingt den Rathaussaal.

Peter Rink