Bilanz zur Zählung vom Wochenende - Auswirkungen der milderen Temperaturen - Interview mit Ornithologin Angelika Nelson

Die Stunde der Wintervögel 2023 ist zu Ende – Beobachtungen vom Wochenende können aber noch nachgemeldet werden. Die Auswirkungen der derzeit milderen Temperaturen haben sich an den Vogel-Futterstellen in den Gärten und auf den Balkons im Freistaat bemerkbar gemacht. Die Teilnehmenden meldeten dem Landesbund für Vogel- und Naturschutz weniger Vögel als in den Jahren zuvor.

Stand am gestrigen Sonntag-Abend, 20 Uhr, haben rund 12.000 Naturfreundinnen und Naturfreunde in knapp 8.800 Gärten, Balkonen oder Parks in Bayern an der Stunde der Wintervögel teilgenommen und 267.000 Vögel gemeldet.

Noch bis zum nächsten Montag, 16. Januar, können Beobachtungen vom Wochenende schriftlich oder online gemeldet werden.
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Was sagt eine Vogel-Expertin zum Zwischenergebnis?
Die LBV-Ornithologin Angelika Nelson teilt mit uns ihre Einschätzung zu den bisherigen Beobachtungen. Dr. Angelika Nelson ist Biologin, begeisterte Ornithologin und Expertin für Vogelstimmen. Sie arbeitet als Gebietsbetreuerin. Das nachfolgende, aktuelle Interview führte Nicole Friedrich vom LBV-Team Vogelzählung.

 
Liebe Angelika, bei mir war das Wetter am Wochenende sehr bescheiden, durchgehend grau, nass und wenig Vögel haben sich gezeigt. Wie war es bei dir?

Angelika: Ich habe wie in den letzten Jahren an der LBV-Umweltstation in Nösswartling gezählt. Hier kam am Nachmittag sogar ein bisschen die Sonne hinter den Wolken hervor, zur Zählstunde hat es allerdings immer wieder ein bisschen geregnet. Ich war mit ein paar Vogelinteressierten aus der Umgebung unterwegs, da dies jedes Jahr unsere erste Veranstaltung der Kreisgruppe ist.

Was war dein Highlight dabei?

Unser Highlight waren kurz vor dem Ende der Zählstunde eine Schar von mindestens 30 Wacholderdrosseln und dazu ein Trupp gleicher Anzahl Erlenzeisige zusammen mit einigen Stieglitzen. Die kleinen Scharen von Erlenzeisigen fallen mir bei uns erst in den letzten Tagen auf.

Ob die wohl schon am Heimzug in den Norden sind?

Was hat sich bei der derzeitigen Top-Ten-Liste im Gegensatz zu den Vorjahren verändert? Welche Aussagen kannst du dazu treffen?

Wie in den letzten Jahren liegen Haussperling, Kohlmeise und Feldsperling genau in dieser Reihenfolge an der Spitze der Top Ten Die Blaumeise scheint sich vor die Amsel zu schieben, gefolgt von einem Schnabel-an-Schnabel Flug von Grünfink und Buchfink um Rang 6 und 7. Die Elster und die Rabenkrähe fliegen auf Rang 8 und 9.

Den Abschluss der Top Ten macht das Rotkehlchen.

Leider fällt auf, dass fast alle Arten in den Top 10 heuer seltener gemeldet wurden als im Vorjahr.

Was waren die interessantesten Beobachtungen in den Ergebnissen, die du bisher schon gemacht hast?

Manchmal gibt es ganz tolle Beobachtungen von den Zählorten, so wurden uns z.B. ein Uhu und auch ein Steinkauz gemeldet. Bei so machen Beobachter*innen scheinen sich auch bereits Frühlingsgefühle einzustellen, wenn sie meinen eine Schwalbe oder sogar ein Braunkehlchen gesehen zu haben. Es freut mich, dass der Vogel dieses Jahres, das Braunkehlchen, offenbar schon bei einigen in den Gedanken ist, aber ich meine wir müssen noch ein paar Monate warten, bis es tatsächlich aus Afrika nach Bayern zurückkehrt, um hier auf den Wiesen zu brüten. Langstreckenzieher wie diese Art können sich nicht so schnell auf Witterungsänderungen einstellen.

Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten uns, dass sie viel weniger Vögel als bei der letzten Zählung hatten. Woran mag das liegen?

Dafür kommen einige Faktoren in Frage: Aufgrund der bereits länger anhaltenden milden Temperaturen finden derzeit viele Vögel genügend Nahrung in der Natur, da Samen und Früchte nicht von Eis und Schnee bedeckt sind.

Aufgrund des warmen Wetters beginnen bereits einige mit ihrem typischem Revierverhalten.Meisen und auch Amseln singen bereits auch früh morgens, um ihr Revier für die diesjährige Brut gegenüber anderen abzugrenzen. So verjagen sie Rivalen von der Futterstelle und aus dem Garten.

Das zurückliegende Mastjahr bei Eichen, Buchen und Fichten macht sich auch bemerkbar. Doch wir sollten nicht vergessen, dass sich das allgemeine Vogelsterben nun auch bei einigen bisher häufigen Arten im Siedlungsraum fortsetzt. Es passiert langsam, aber mittlerweile merken wir die Abnahme einst häufiger Arten auch in den Gärten.

Warum hat das Wetter so einen Einfluss darauf, ob sich die Vögel am Futterhaus zeigen?

Fürs Überleben der Vögel spielt Futter eine wichtige Rolle und dieses wird wiederum von der Witterung beeinflusst. Vögel suchen sich einen Ort, an dem sie vor Prädatoren sicher sind und wo sie nicht viel Energie zur Nahrungsbeschaffung aufwenden müssen.

Wenn das in ihrem natürlichen Lebensraum gegeben ist, besteht kein Grund diesen zu verlassen und sich ins Ungewisse aufzumachen. Daher sehen wir sie dann seltener an der Futterstelle im Garten – wo ja auch sehr häufig Katzen herumschleichen, die für Vögel eine Gefahr darstellen.

Ein Mastjahr beschert den Vögeln viel Futter in ihrem natürlichen Lebensraum. Vor allem Waldvogelarten wie Buchfink, Buntspecht und Kleiber, aber auch Eichelhäher und Gimpel profitieren von einem Überangebot an Samen im Wald und wurden heuer daher seltener beobachtet als im Vorjahr.

Laut den Ergebnissen blieb heuer ein größerer Einflug von nordischen Wintergästen wie Erlenzeisige oder Bergfinken aus. Hat dies auch etwas damit zu tun?

Die nordischen Arten machen sich nur auf die anstrengende und auch gefahrenvolle Reise in den Süden, bis nach Bayern, wenn sie in ihrem Brutgebiet aufgrund von schneereicher und eisiger Witterung keine Nahrung finden. Dann können riesige Scharen von Bergfinken, bis zu einer Million Vögel in einem Trupp wurden schon geschätzt, nach Mitteleuropa ausweichen. Heuer scheint die Witterung auch in Nord- und Osteuropa mild zu sein und die Vögel verbleiben in ihrer gewohnten Umgebung.

Kannst du jetzt schon regionale Unterschiede in den Meldungen sehen? Gibt es Bezirke/Landkreise mit besonders wenigen oder besonders vielen Vögeln?
Beim Haussperling fällt der beinahe weiße Fleck auf der Karte rund um München auf. Noch immer sind die Bestände dieses einst so häufigen Biergarten-Besuchers im Großraum München sehr niedrig. Es fehlt ihm dort an Brutmöglichkeiten an Hausfassaden, v.a. in ausreichender Zahl, denn dieser kleine Vogel ist sehr gesellig und brütet nur in Gemeinschaft. Wer ihm also im Garten etwas Gutes tun möchte, sollte einige Nistkästen nahe nebeneinander aufhängen.

Die Kohlmeise ist v.a. in den nord-östlichen Landkreisen des Freistaats stark vertreten. Ähnlich geht es der Blaumeise …

Haben die milden Temperaturen zur Zeit noch andere Auswirkungen auf unsere hier gebliebenen Vögel und auch auf unsere Zugvögel?

Wenn der Winter so mild bleibt, wie er jetzt im Januar begonnen hat, hat das positive Auswirkungen auf einige der Standvögel in Bayern, also Vögel, die das ganze Jahr über bei uns zu sehen sind.

Vor allem die kleinen, wie Wintergoldhähnchen und Zaunkönig, profitieren davon. Für sie ist es besonders schwierig genug Energie über Nahrung aufzunehmen, um eisigen Temperaturen in der Nacht zu trotzen.

Negative Auswirkungen harter Winter sind vor allem vom Zaunkönig bekannt. Da kann in manchen strengen Winterjahren beinahe die ganze Population verschwinden. Dann dauert es ein paar Jahre, bis sich der lokale Bestand wieder erholt hat.

Foto: LBV