62-jähriger Rosenheimer wegen „aktiver Verherrlichung des Nationalsozialismus" verurteilt

Das Amtsgericht Rosenheim hatte im Vorfeld der Verhandlung massive Sicherheitsvorkehrungen getroffen: Der Angeklagte sei der „Reichsbürger-Szene“ zuzuordnen und man müsse damit rechnen, dass es zu Zwischenfällen kommen könne. Deshalb durfte das Gerichtsgebäude erst 30 Minuten vor Prozessbeginn betreten werden. Leibesvisitationen und genaue Ausweiskontrollen sollten durchgeführt werden. Für Besucher wurden 44 Plätze reserviert, allerdings erschienen neben den Vertretern der Presse tatsächlich nur drei Besucher, die die Verhandlung verfolgen wollten. Viel Lärm um nichts also.
Und nachdem der Beschuldigte am 21. August festgenommen werden konnte, wurde er gestern auch in Hand- und Fußfesseln vorgeführt. Auf die Frage, warum er Ende Juli nicht zum Prozess erschienen sei, antwortete der Angeklagte nur, dass er den Termin völlig vergessen habe.
Volksverhetzung im Internet
Die Anklage lautete auf Volksverhetzung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und versuchter Nötigung sowie öffentlicher Aufforderung zu Straftaten in insgesamt annähernd 150 Fällen.
Nach einem längeren Rechtsgespräch gab der Angeklagte alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu. Im Herbst 2019 sei er der von zwei russischen Unternehmern gegründeten „Messaging-App“ „Telegram“ beigetreten und habe eine Gruppe mit über 1.000 Mitgliedern eingerichtet, die auch für Nicht-Mitglieder jederzeit offen stand. Auf die Gründung hin habe er „hunderte Nachrichten“ bekommen. Nachrichten, in denen der Holocaust als Erfindung der Alliierten geleugnet wurde, in denen Adolf Hitler immer wieder verherrlicht worden sei und in denen die Existenz von Konzentrationslagern schlichtweg geleugnet worden sei.
Daneben sei in den Chat-Darstellungen wiederholt das in Deutschland verbotene Hakenkreuz gezeigt worden und es seien auch mehfach antisemitische Videos gepostet worden, in denen zur Vernichtung aller Juden aufgefordert worden sei.
Der Angeklagte gestand offen, auf diesem Telegram-Kanal „neue Wahrheiten“ erfahren zu haben. Und es wurde deutlich, dass der Sohn des Angeklagten der „Reichsbürger-Szene“ zugewandt sei wie auch seine geschiedene Ehefrau.
Plötzliches Ende der Posts nach Hausdurchsuchung
Die Posts endeten jäh am 9. Februar 2022, jenem Tag, als die Polizei in der Wohnung des Angeklagten eine Hausdurchsuchung vornahm und wichtiges Beweismaterial beschlagnahmte.
Der Polizeibeamte, der seinerzeit die Hausdurchsuchung geleitet hatte, wies in seiner Aussage vor dem Gericht darauf hin, dass der Beschuldigte „kooperativ“ gewesen sei. Allerdings habe er die Polizei mit „einer Firma“ verglichen und sich kritisch zum politischen System der Bundesrepublik Deutschland geäußert. Auch im Gerichtssaal konnte man nicht den Eindruck eines aggressiven Angeklagten gewinnen. Im Gegenteil: Er wollte seine geistige Entwicklung schildern und die Anwesenden im Gerichtssaal davon überzeugen, dass er mit dem nationalsozialistischen Gedankengut gebrochen habe. Er habe die Hauptschule besucht und daran anschließend den M-Zweig, habe dann eine Lehre als Dachdecker gemacht und eine Firma eröffnet. Die habe er aber schließen müssen, weil die Konkurrenz durch Dumping-Preise ihn in den Ruin habe treiben wollen. Er sei dann im Jahre 2000 nach Kroatien emigriert, habe sich von seiner Frau scheiden lassen und sei daran anschließend wieder nach Deutschland gekommen und habe sich in Rosenheim niedergelassen.
Er habe dann bei einem Call-Center gearbeitet und sei hier sehr gut gewesen, aber leider habe man ihm das Gehalt gekürzt. Daraufhin habe er als Fensterputzer gearbeitet, habe 2015 die Firma, bei der er beschäftigt war, übernehmen wollen, aber das habe leider auch nicht funktioniert. Immer wieder hätten es die Mitarbeiter auf ihn abgesehen gehabt. Er sei auch sehr besorgt gewesen, weil überall Passwörter gehackt worden seien, was ihn verunsichert habe.
Dass er dreieinhalb Jahre keine Miete gezahlt habe, wie ihm das Gericht vorhielt, habe er gar nicht bemerkt, räumte er ein. Auf die Frage, wovon er denn gelebt habe, antwortete er nur, dass er das auch nicht wisse, aber sein Sohn habe ihn in dieser schwierigen Phase unterstützt.
Und angesichts dieser fast ausweglosen Situation und der zahllosen Ungerechtigkeiten, mit denen er sich konfrontiert sah, habe er dann im Dezember 2020 die Telegram-Gruppe „King Ather reveals“ gegründet. Diese Gruppe habe sehr schnell 1.000 Mitglieder umfasst, sei aber auch für Nicht-Mitglieder frei zugänglich gewesen.
In den Beiträgen, die er in der ersten Hälfte des Jahres 2021 gepostet hat, habe er eine Vielzahl von Beiträgen veröffentlicht, in denen er den Holocaust leugnete und die Gewaltverbrechen des NS-Regimes verherrlichte.
Nach der Hausdurchsuchung im Februar 2022 brachen die Posts dann ab und er trug vor Gericht vor, mit diesem Gedankengut abgeschlossen und gebrochen zu haben.
Das Gericht hatte nun zu befinden, wie die Initiativen des Angeklagten rechtlich zu bewerten seien. Staatsanwalt Thomas Wüst forderte zwei Jahre und neun Monate Gefängnis und Verteidiger Harald Baumgärtl wies auf die Wandlung des Angeklagten hin und warb beim Schöffengericht darum, dem Angeklagten eine Chance geben zu können. Immerhin könne man feststellen, dass es seit Frühjahr 2022 eine große Distanz des Angeklagten zu seinen Posts gebe und er auch nicht mehr mit Gesetzesverstößen auffällig geworden sei. Der Verteidiger plädierte für eine Gefängnisstrafe mit Bewährung, denn man könne nicht abstreiten, dass der Angeklagte geläutert wirke.
Das wollte die Kammer aber so nicht gelten lassen. Eingedenk der Schwere der Volksverhetzung und der großen Reichweite des Telegram-Kanals wurde der Angeklagte zu zwei Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt.
PETER RINK
Schaufenster

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