Klägerin und Angeklagter verlassen Arm in Arm den Gerichtssaal

Vor dem Schöffengericht beim Amtsgericht Rosenheim war jetzt ein 56-jähriger aus Qatar stammender Mann angeklagt, dem vorgeworfen wurde, seine 40-jährige syrischstämmige Frau in der gemeinsamen Wohnung mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen zu haben, ihr die Handtasche mit darin enthaltenen 200 Euro sowie einem Mobiltelefon aus der Hand geschlagen zu haben und ihr gedroht zu haben, sie umbringen zu wollen, wenn sie die Wohnung nicht verlasse. 

In ihrer Not ist die Frau dann zur Polizei gegangen und hat Anzeige gegen ihren Mann gestellt. Die Polizei hat dann dafür Sorge getragen, dass sie in einem Frauenhaus unterkommen konnte und dem Ehemann Kontaktverbot zu seiner Frau auferlegt.

Immer wieder hört man von häuslicher Gewalt und dennoch gibt es sehr wenige Frauen, die sich dann doch trauen, ihren Ehemann oder Lebensgefährten hierfür anzuzeigen. In diesem Falle hielt die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung für ausdrücklich geboten.

Vor dem Gericht erschien der Angeklagte mit seiner Verteidigerin. Sie machte ihn, kurz bevor das Gericht den Saal betrat, darauf aufmerksam, dass es für ihn besser wäre, er nähme seine Kopfbedeckung ab, was der Angeklagte auch tat, wenngleich nicht gerne. Sicherheitshalber hatte das Gericht eine Dolmetscherin für Arabisch bestellt, obwohl der Angeklagte ganz gut deutsch sprach.

Als der Vorsitzende Richter die Verhandlung eröffnen wollte, meldete sich der Angeklagte zu Wort. Er brauche keine Dolmetscherin, die Dolmetscherin sprach er auf arabisch an und meinte nur unwirsch, sie solle jetzt gefälligst abhauen, er brauche sie nicht und wolle sie auch nicht. Der Richter wies den Angeklagten zurecht, vereidigte die Dolmetscherin und begann die Verhandlung. Gehen musste sie nicht. Und der Richter ergänzte, der Angeklagte möge doch warten, bis man ihm das Wort auch erteile.

Als erstes behauptete der Angeklagte, die Anklage und die Ladung nicht erhalten zu haben. Erst nachdem ihm der Richter die Ladung und die Zustellungsurkunde zeigte, blieb er still.

Nachdem die Anklageschrift verlesen worden war, meldete sich der Angeklagte erneut zu Wort. Dass er sie mit der Hand ins Gesicht geschlagen habe, „das stimmt überhaupt nicht“, ließ er ein und dass er sie an den Haaren gezogen habe, „das stimmt gar nicht“. Er habe die Tasche weggerissen, das sei richtig, aber nur, weil er den Hausschlüssel wollte, denn den habe er in der Wohnung liegenlassen und seine Frau habe nunmehr den einzigen Schlüssel gehabt und er habe in die Wohnung gehen wollen. Diese Auseinandersetzung habe sich auf der Straße ereignet. Seine Frau habe ganz furchtbar geschrien, sie habe „Paranoia“, wie der Angeklagte einließ. Dass er ihr gedroht habe, sie umzubringen, „stimmt auch nicht“, schließlich sei sie nach vier Tagen in die Wohnung zurückgekehrt. „Warum ist sie nach vier Tagen heimgekommen?“, fragte er das Gericht. Immer wieder stellte der Angeklagte dem Gericht rhetorische Fragen, um damit seine Unschuld zu untermauern. Doch darüber wirkte der Richter ein wenig ungehalten: „Sie sollen sagen, wie es war, ich will hier keine Theorien hören.“

Zwei Polizeibeamte und die Ehefrau wurden anschließend als Zeugen vernommen. Es wurde von den Beamten festgestellt, dass die Anzeichen für häusliche Gewalt wohl offensichtlich waren. Auf den Fotos, die dem Gericht vorlagen, war dies allerdings nicht so eindeutig zu erkennen. Da die Ehefrau den Beamten auf der Polizeiwache erklärt hatte, von ihrem Mann geschlagen worden zu sein, sei zunächst der Rettungsdienst auf die Wache gekommen und habe die Frau behandelt, Danach habe man sie zu ihrer eigenen Sicherheit in ein Frauenhaus gebracht und einen Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz erwirken können. Dass die Frau schon nach kurzer Zeit in die gemeinsame Wohnung mit ihrem Ehemann zurückgekehrt sei, davon habe die Polizei keine Kenntnis gehabt.

Bei der Vernehmung auf der Polizeiwache sei die Frau zwar ruhig gewesen, habe aber immer wieder geweint. Dass sie auf der Wache übertrieben hätte, diesen Eindruck hatten die Polizeibeamten wohl nicht. Aber sie habe sehr verängstigt gewirkt, sodass man von einem normalen Streit nicht habe ausgehen können.

Die Vernehmung der Ehefrau brachte dann die große Überraschung: Die Ehefrau ließ ein, dass sie aus Syrien stamme, mit dem Angeklagten verheiratet sei, aber nicht nach deutschem, sondern nach islamischem Recht. Es sei so kompliziert gewesen, nach deutschem Recht zu heiraten, weil man hier so viele Papiere wolle. Das Gericht klärte, dass solche Ehen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes nicht gültig seien, sodass der Ehefrau ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht zustehe.

Als Beruf gab sie „Frau“ an und korrigierte sich dann schnell in „Hausfrau“. An den besagten Abend, als der Angeklagte gegen sie gewalttätig geworden sei, könne sie sich kaum erinnern. Sie hatte Geld für einen Führerschein und ihr Mann habe ihr die Tasche wegnehmen wollen. Da sei sie sauer geworden. „Und wenn ich sauer bin, weiß ich nicht, was ich mache.“, erklärte sie dem Richter. Auf die Frage des Gerichts, ob sie von ihrem Mann geschlagen worden sei, entgegnete sie klar: „Nein.“ Ob er gesagt habe, sie umbringen zu wollen, meinte sie nur, da habe sie keine Ahnung, das Ganze sei ein Missverständnis. Das wollte die Staatsanwaltschaft so nicht gelten lassen. „Bei der Polizei haben Sie ganz anders ausgesagt. Sie wissen, dass eine Falschaussage vor Gericht strafbar ist.“ Sie sei so unter Stress gewesen, sie habe nicht gewusst, was sie sage. Aber sie sei doch zur Polizei gegangen, wurde sie gefragt. Daran könne sie sich nicht mehr erinnern, sie habe so viel Stress gehabt. Die Frage, warum sie bei der Polizei etwas anderes als im Gerichtssaal ausgesagt habe, beantwortete sie mit dem Hinweis, sie sei beleidigt gewesen. „Vielleicht hat er mich ja unabsichtlich verletzt, als er mir die Tasche aus der Hand gerissen hat“, ließ sie noch ein.

Sie wohne seit September nicht mehr bei ihrem Mann im Landkreis Rosenheim, sondern in der Nähe von München. Aber vor zwei Wochen sei sie wieder zu ihrem Mann in die gemeinsame Wohnung gezogen.

Die Schließung der Beweisaufnahme ließ alle Prozessbeteiligten einigermaßen überrascht und ratlos zurück. So wurde der Angeklagte freigesprochen und verließ mit seiner Frau Arm in Arm das Gerichtsgebäude.

Auch der Vorsitzende Richter wirkte nicht zufrieden. Dieser Prozess sei auch unbefriedigend für die Justiz, meinte er, selbst, wenn man Zweifel an der Richtigkeit der Aussage der Ehefrau habe. Wenn man Zweifel hegt, gelte aber der Grundsatz: „Im Zweifel für den Angeklagten“, so sei eben der Rechtsstaat.

Auch für den neutralen Beobachter bleiben am Ende dieser Verhandlung Fragen. Wenn die Frau bei der Polizei die Unwahrheit gesagt hat, was ist das für ein Zeichen, wenn sie ihren Mann wider besseres Wissen anzeigt? Und wenn sie vor dem Gericht die Unwahrheit gesagt hat, wie sicher ist sie dann jetzt in der gemeinsamen Wohnung? Dieses Gefühl der mangelnden Zufriedenheit nach diesem Prozessverlauf bleibt also.

 

PETER RINK