Heimatverein erfuhr Hintergründe durch Vortrag von Jurist Elmar Schieder - Demnächst Jahreshauptversammlung

 

Was es mit dem Haberfeldtreiben auf sich hatte und warum dazu immer noch viele Aufzeichnungen erhalten sind, obwohl deren Vernichtung geplant war, erfuhren die Zuhörer gestern bei einem Vortragsabend des Wasserburger Heimatvereins.

In seiner Begrüßung freute sich der Vorsitzende des Heimatvereins, Peter Rink, darüber, dass man nunmehr wieder zu Vortragsveranstaltungen des Vereins einladen könne, denn mit Ausnahme der Vorstellung der Heimat am Inn von Robert Obermayr über Joseph Estermann im Rathaussaal im Oktober 2021 habe es seit März 2020 keine Vortragsveranstaltung des Heimatvereins mehr gegeben. Umso mehr freute er sich, die Besucher begrüßen zu können, die zu dem Vortrag von Elmar Schieder über das Haberfeldtreiben im ehemaligen Landkreis Wasserburg erschienen waren.

Der Referent hat sich nach erfolgreicher Promotion zum Dr. jur. an der Universität Freiburg neben seiner beruflichen Tätigkeit bei einer Münchner Versicherungsgesellschaft intensiv mit den Haberfeldtreiben beschäftigt.

Wie er erläuterte, war es seit Anfang des 18. Jahrhunderts in nicht wenigen oberbayerischen Gemeinden Brauch, Menschen, die sich nicht an die gesellschaftlichen Konventionen hielten, durch ein „Haberfeldtreiben“ zu rügen beziehungsweise zu verspotten. Nicht selten waren unverheiratete junge schwangere Frauen das Ziel der Häme. Die Burschen und Männer aus der Nachbarschaft verabredeten sich und zogen bei Nacht, am liebsten im Winterhalbjahr, vor das Haus des Opfers, weckten es und veranstalteten einen ohrenbetäubenden Lärm. Der Lärm soll auch immer wieder unterbrochen worden sein, damit Spottverse vorgetragen werden konnten, in denen das Vergehen angeprangert wurde. Anschließend trieb man die Opfer heraus und jagte sie auf das „Haberfeld“.

Da die „Haberer“ von der Staatsgewalt verfolgt wurden, haben sie sich mit der Zeit angewöhnt, ihre Aktivitäten geheim vorzubereiten und nicht im Heimatort aktiv zu werden, damit sie nicht so einfach verfolgt werden konnten. In den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts erfuhr dieser Brauch einen traurigen Höhepunkt. Im Wasserburger Umland soll es 37 Treiben gegeben haben. Da die Polizei zunehmend stärker einschritt, steigerte sich auch die Militanz der Haberer. Sie sollen wahllos in die Ortschaften geschossen haben, sodass es Tote und Verletzte gab. Sie selbst begriffen sich als Sittengericht, Ausfluss ernster Volksjustiz. Erst um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert ebbte dieser Brauch ab.

Warum hat man gerade in Wasserburg heute so genaue Kenntnis von den Haberfeldtreiben im Wasserburger Raum? Der Referent berichtete den Zuhörerinnen und Zuhörern, dass man nach der Kreisgebietsreform 1972, als der Landkreis Wasserburg aufgelöst wurde, viele Akten nach München transportiert habe, um sie dort entweder zu archivieren oder zu vernichten. Der 2020 verstorbene Wasserburger Veterinär Dr. Josef Wallner sammelte diese Akten, rettete sie damit vor der Vernichtung und übergab sie 2014 dem Wasserburger Stadtarchiv. So konnten viele Dokumente über verschiedene Haberfeldtreiben gesichert werden.

In Wasserburg, berichtete Elmar Schieder schließlich, soll es noch 1889 im Danningersaal Treffen gegeben haben, in denen Haberfeldtreiben vorbereitet und organisiert worden seien, sozusagen als Unterhaltungsprogramm. Die letzten Treiben sind im Jahre 1901 belegt, und zwar in Pfaffing und Ramerberg. Die Zahl der Teilnehmer sei aber schon auf 15 bis 20 geschrumpft. Georg von Vollmar, der renommierte Sozialdemokrat und Vorsitzende der bayerischen SPD zur Zeit der Jahrhundertwende, soll sich seinerseits für die Haberer eingesetzt haben. 1894 soll er kritisiert haben, dass Gendarmen auf die Haberer geschossen hätten.

„Elmar Schieder hat kenntnisreich und ausführlich die Haberfeldtreiben im Wasserburger Land dargestellt“, bedankte sich der Vorsitzende des Heimatvereins beim Referenten und zeigte sich erfreut, auf die nächsten Veranstaltungen hinweisen zu können:

Am 7. November um 19.30 Uhr stellen Matthias Haupt und Thomas Rothmaier den Wasserburger Stadtbildkalender 2023 vor und im Anschluss daran findet die Jahreshauptversammlung des Vereins mit Neuwahlen statt, und zwar im Schalander der Bierkellerfreunde im Heimatverein, Salzburger Straße 1 in Wasserburg.

Am 5. Dezember um 19.30 Uhr findet im Gasthaus Paulaner am Marienplatz 9 die Adventsveranstaltung statt. Sonja Fehler, Leiterin des Museums Wasserburg, referiert über „Mythos Christkind“. Anschließend gibt es eine kleine adventliche musikalische Umrahmung als Einstimmung in die „stade Zeit“.

Ende Dezember 2022 erscheint dann wieder ein Jahresprogramm des Heimatvereins mit Vorträgen, Exkursionen und einer Mehrtagesfahrt.
„Der Heimatverein freut sich, wieder zur Normalität zurückkehren zu können“, schloss Peter Rink den Vortragsabend.

RP