Gemeinderat Haag: Bewertung der Einzelhandelssituation fordert Umdenken für die Ortsmitte

Unter anderem mit der Sanierung der Hauptstraße will Haag den Ortskern weiter beleben. Weil es anfangs die Idee gab, auf dem ehemaligen Netto-Gelände wieder mehr Einzelhandel in Rosenberg anzusiedeln, hat die Gemeinde Kontakt mit Dr. Robert Leiner von der iq Projektgesellschaft aufgenommen. Dieser sollte die Einzelhandelssituation zu bewerten. Seine Ergebnisse stellte er in der jüngsten Gemeinderatssitzung vor.

Für Supermärkte und Geschäfte hätte nach ersten Ideen der geplante Wohnungsbau im Rosenberger Karee zurückgestellt werden sollen. Zentrale Frage war daraufhin: „Wie passt das Vorhaben in den ISEK-Zielrahmen der Gemeinde?“ Denn eigentliches Ziel sei, die Ortsmitte zu beleben.

Mit einer Grundstücksgröße von etwa 10.000 Quadratmetern biete sich laut Leiner das Gelände in Rosenberg nach dem „klassischen Entwicklungspfad“ für einen Versorgungsstandort an. Discounter, Getränkemärkte, Drogerie sowie Gastronomie und Einzelhandel hätten hier einen Platz.

Moderneres – und derzeit angedachtes Ziel – sei eine Kombination aus „Handel, Freizeit, Wohnen, Kultur und Gesundheit“. Sogenannte Mixed-used-Immobilien. Denn ein weiterer Versorgungsstandort verschärfe in Haag den Wettbewerbsdruck, denn „es gibt schon eine vollständige Versorgung“. Wie Leiner erklärte: „Durch zusätzliche Dienstleister und Einzelhändler steigt nicht die Kaufkraft der Bevölkerung.“ Das bedeute, der Anbieter, der wettbewerblich am schlechtesten aufgestellt ist, scheide aus und es entstehe Leerstand.

Ortsmitte braucht neue Themen

Aber auch wenn in Rosenberg keine Supermarktansiedlung besteht, stellte sich die Frage, wie die Ortsmitte langfristig aussehen könne. Denn „das Zentrum in Haag ist deutlich zu groß“, so die Meinung des Experten. Es brauche mehr Dichte. „Das Beste muss nach innen“, versinnbildlichte er mit einer Grafik des angestrebten Krapfen – also das Beste innen – und dem ungewollten Donut – das Beste liegt außen rum.

Die demografische Entwicklung sowie der coronabedingt gestiegene Online-Handel hätten vor allem auf den Einfluss auf die Einzelhandelsentwicklung. Gerade Mode- und Schuhgeschäfte, Sport- und Buchläden „haben extrem stark gelitten in der Corona-Pandemie“. Also ein Großteil der Haager Einzelhändler im Ortskern.

Außerdem zeige die Entwicklung: „Das Einkaufen als Hauptbesuchsgrund ist vorbei“, so Leiner. Die Wohlfühlfaktoren Atmosphäre, Komfort und Sicherheit dürften nicht vernachlässigt werden. Besucher erwarten „einen Ort zum Verweilen, an dem ich etwas machen oder sehen kann“.

„Es wird neue Themen brauchen für die Ortsmitte“, so die klare Meinung des Experten. Deshalb empfahl er, das Leitbild für den Haager Ortskern zu überarbeiten, vielleicht in einem Beteiligungsverfahren. Denn die damals im Rahmen des ISEK festgelegten Ziele sehe er inzwischen nicht mehr als zukunftsfähig.

Gremium setzt auf Flexibilität

„Wir sollten kein Leitbild um des Leitbilds Willen machen“, betonte Stefan Högenauer (CSU) in der anschließenden Diskussion. Die Gemeinde befinde sich in einem ständigen Wandel und mit dem ISEK „kann man sich nicht mehr so frei bewegen“.

Auch Fraktions-Kollege Bernd Schneider war der Meinung: „Wir brauchen ein flexibles Instrument.“ Gerade die vergangenen Jahre hätten gezeigt, wie schnell sich die Dinge entwickelten. Deshalb wolle er „nicht wieder ein Korsett schnüren“, das Steuerungselement solle sich bewegen können.

Siegfried Maier (SPD) sah ebenfalls den „kontinuierlichen Verbesserungsprozess“. Das ISEK solle kein fester Rahmen sein, allerdings eine Möglichkeit, um festzulegen: „Was ist gut für Haag?“ Hier brauche es Ideen, dass „irgendwann etwas Gutes draus entsteht“. Auch wenn es bedeute, dass viele Vorschläge im weiteren Verlauf wieder verworfen werden. „Wie brauchen viele Ideen, um etwas zu finden, das für Haag gut ist.“

Wohlfühlfaktor steht im Mittelpunkt

Für die weiteren Überlegungen stand für mehrere Gemeinderäte der Wohlfühlfaktor im Vordergrund. Als Hauptaussage für einen zukunftsfähigen Ortskern griff Hermann Jäger (PWG) die Begriffe Atmosphäre, Komfort und Verkehrssicherheit auf. „Alles drei haben wir nicht“, kritisierte er. Hier müsse die Gemeinde ansetzen, „die Atmosphäre verbessern und schauen, dass die Straße schön ist und die Leute sich wohlfühlen“.

Für Eva Rehbein (SPD) habe die Aufenthaltsqualität ebenfalls oberste Priorität. „Alles andere muss sich dahinter orientieren.“ Sie wolle den Fokus nicht nur auf das Gewerbe setzen, auch wenn es einen hohen Stellenwert habe. „Aber der Fokus sollte sein: Wie fühlen wir Bürger uns wohl in der Ortsmitte?“ Bevor die Sanierung der Hauptstraße angegangen werde, müsse sich die Gemeinde im Klaren sein, was ihr Ziel für den Ortskern sei.

Der Beschlussvorschlag, das Leitbild zur Ortsmitte Haag im ISEK im Rahmen eines kooperativen Beteiligungsverfahren zu überarbeiten, erreichte mit 12:7 Stimmen die Mehrheit. Die gesamte CSU-Fraktion sowie Christine Sax (Grüne) lehnten den Vorschlag ab.

Was ist ISEK?

In einem integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzept (ISEK) formuliert eine Kommune ihre Leitvorstellungen. Darin werden Ziele und Projekte für die Entwicklung des Ortes für mehrere Jahre festgelegt und nach diesen Grundsätzen gehandelt. Es dient als Orientierung und ist Grundlage für eine Städtebauförderung.