Wie aus einem Freundschaftsdienst eine breite Welle der Hilfsbereitschaft wurde

Gut eine Woche ist sie jetzt her: Die Hilfsaktion für die Erdbebenopfer in Kroatien. Seit Montag sind alle Helfer wieder wohlbehalten in Wasserburg zurück. Und seit ein paar Tagen herrscht bei der Wasserburger Feuerwehr, die die Aktion maßgeblich unterstützte, wieder „normaler Dienst“. Stefan Gartner, Pressesprecher der Wehr, hat sich in diesen Tage die Arbeit gemacht, eine Bilanz aus Sicht der Feuerwehr anzufertigen. Hier sein Bericht:

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„Kannst du mir helfen einen Transporter zu organisieren, da ich eine kurzfristige Hilfslieferung nach Kroatien plane.“ In diesem Wortlaut ging die private Anfrage von Anita Arz, einer Wasserburgerin mit kroatischen Wurzeln beim Wasserburger Feuerwehrler Josip Zilic ein. Der wiederum stellt die Frage kurzerhand in eine 80 Personen starke Whatsapgruppe der Wasserburger Wehr. Nach ein paar Stunden landet die Anfrage bei Richard Schrank, dem Kreisbrandtrat des Landkreises Rosenheim. Der stellte klar: „Wenn wir das den Feuerwehren im Landkreis sagen, wird Dich eine Riesenwelle an Hilfsbereitschaft überrollen!“ „Geht klar“, lautete die Entscheidung von Josip Zilic aus dem Bauch heraus.
Am Sylvesterabend rief dann die Wasserburger Feuerwehr Freunde und Partner an, um potenzielle Großspender für Lebensmittel und Transportfahrzeuge zu organisieren. Unmittelbare Zusagen ließen eine durchwegs positive Tendenzen erkennen.
Die Firmen Bauer Frischdienst und Meggle sagten sofort Großspenden zu. Der Rewe-Supermarkt ergänzte das Sortiment, so dass man binnen kürzester Zeit zirka vier Tonnen Lebensmittel organisieren konnte.
Parallel dazu koordiniert und organisiert Kreisbrandrat Richard Schrank das  Mitwirken der Feuerwehren im Landkreis Rosenheim. Sammlung, Abgabe und Verladen von Feuerwehren und Bevölkerung galt es unter einen Hut zu bringen und das noch unter Beachtung der Hygieneregeln.
Die Planungen der Wasserburger Feuerwehr, sich am 1. Januar gegen Mittag zu treffen um die Anlieferungen der Landkreisfeuerwehren vorzubereiten, wurden bereits gegen 7.30 Uhr verworfen. Die Telefone standen nicht mehr still und das Feuerwehrhaus wurde von den Spendern überrannt.
Bereits um 9.30 Uhr wurde in Wasserburg das „Außenlager Burkhart“ in einer alten Essigfabrik eröffnet, eine Einsatzleitung gebildet und Warenannahme, Verpackung und Palettierung in Abschnitte unterteilt. Von da an war die Feuerwehr in ihrem Element und die Einsatzleitung arbeitete wie in einer Großschadenslage. Bei diversen Unklarheiten hieß es oft: „Das organisieren wir genau so, als wenn Hochwasser wäre.“
Um am 2. Januar pünktlich um 1 Uhr in Wasserburg losfahren zu können, wurde nach mehreren Einsatzbesprechungen festgelegt, gegen 17.30 Uhr wurde ein Annahmestopp festgelegt, um ein Zeitfenster für die Verladung und eine Ruhephase für die Fahrer zu schaffen.
Beindruckend war, dass aus der Bevölkerung anonyme Geldspenden in Kuverts kommentarlos abgegeben wurden. Ein enormer Vertrauensbeweis für die Feuerwehr.
Die Leitung und Organisation der Annahmestelle für die Bevölkerung im Wasserburger Stadtteil Burgerfeld übernahm die Stadtteilfeuerwehr Attel-Reithmehring. Im Gerätehaus Wasserburg packten ebenfalls viele Feuerwehrler mit an. Insgesamt waren an drei Umschlagstellen zirka 80 Personen pausenlos eingespannt. Insgesamt wurden mehr als 200 Helfer aus den Rettungsorganisationen gemeldet.

Ohne die zielgerichtete Arbeit durch die Feuerwehren im Landkreis, von denen viele verpackt und angeliefert haben, aber nicht mitfahren konnten, und der vielen Helfer in den Annahmestellen, wäre eine pünktliche Abreise und ein Hilfskonvoi dieser Größenordnung in einer solch kurzen Zeit und über die Feiertage unmöglich gewesen.
Zügige Anreise ins Zielgebiet, Abladen und Rückreise zum ebenfalls durch den Kreisbrandrat organisierten „Corona Schnelltest“ im Gerätehaus der Feuerwehr Bernau, standen dann auf dem Programm. Denn nach mehr als 72 Stunden Aufenthalt im Ausland hätten alle Einsatzkräfte in Quarantäne gemusst, so dass ab der Ausreise die „Corona- Uhr“ gegen die Helfer tickte.
Pünktliche Abreise war dann um 1 Uhr morgens in Wasserburg mit zirka 15 Fahrzeugen zum Hauptsammelpunkt an der Autobahnauffahrt Bernau. Kurze Besprechung, Zugeinteilung durch Richard Schrank, und schon gings gegen 1.30 Uhr mit dem über Funk erteilten Segen des Wasserburger Notfallseelsorgers und Feuerwehrmann Peter Peischl auf die Reise.
Angeführt vom Wasserburger Kommandanten Niko Baumgartner und dem Kreisbrandrat setzte sich der 42 Fahrzeuge umfassende Verband um 2.15 Uhr in Bernau in Bewegung. Mit dabei auch ein voll ausgestatteter ADAC- Servicewagen, der von einem Kfz- Meister der Wasserburger Wehr gefahren wurde.
Nachdem gegen 5.30 Uhr 50 Zentimeter Neuschnee im Bereich Villach/Spital überwunden worden war, überquerte der Tross um 9.30 Uhr die Grenze nach Kroatien. Mit zwei Pausen erreichte der aus drei Zügen bestehende Verband gegen 11.15 Uhr das erste Ziel, die 70.000 Einwohner Stadt Velica Gorica.
Die Einfahrt in die Stadt war begleitet von vielen Menschen, die an Fenstern oder in den Gärten standen und winkten. Für alle ein absoluter Gänsehautmoment.
Bei der dortigen Feuerwehr kurz verpflegt, und vom kroatischen Fernsehen empfangen, wurden die Züge anschließend zu ihren jeweiligen Abladeorten entsandt. Bereits um 12.30 Uhr waren die ersten vier Fahrzeuge des ersten Zuges am Standort entladen und der Zug fuhr weiter ins Hinterland. Während gegen 15 Uhr der 1. Zug komplett entladen und auf dem Weg zum Sammelpunkt war, meldeten der 2. und 3. Zug, dass es Schwierigkeiten in der Stadt Sikak gebe.
Entegegen der Absprache, wurden die Züge während der Anfahrt auf die Zielorte von der örtlichen Polizei falsch geleitet, so dass man an einem Riesenlager angekommen, vor der Entscheidung standen, die Hilfsgüter in diesem Warenlager „untergehen zu lassen“, oder eine kurzfristige und sinnvolle Planänderung herbei zu führen. Josip Zilic ließ mit einigen Familienangehörigen seine Kontakte spielen und fand alternative Adressen. Trotz der schwierigen infrastrukurellen Verhältnisse konnte das alternative Ziel, die Stadt Glina (nähe Petrinja) mit dem Navi angefahren werden.
 
Gespräche mit Bürgermeistern, und Vertretern von Rotem Kreuz und Feuerwehr ergaben weitere Ziele. Gesagt getan, denn um Zeit bei der Entladung zu sparen, fuhren vier Fahrzeuge in umliegende kleine Dörfer und brachten Ihre Lieferungen zum Teil bei Feuerwehren direkt an die richtigen Stellen.
Insgesamt war dies, die umständliche und zeitaufwändige Variante. Dennoch waren sich alle verantwortlichen Entscheider einig, dass trotz viel Hickhack mit den teils überforderten örtlichen Organisationen und Behörden, die für die Betroffenen beste Lösung umgesetzt wurde.
Eine prägende und emotionale Erfahrung durfte man in einem abgelegenen Dorf machen. Als die Güter entladen wurden, konnten die Helfer bei einige helfende Frauen immer wieder beobachten, dass diesen die Tränen übers Gesicht liefen. Per Dolmetscher angesprochen kam raus, dass die Bevölkerung in diesen Stunden ein Dejavue-Erlebnis hatte. Als der Krieg im ehemaligen Jugoslawien ausbrach und die Häuser in dieser Gegend zerbombt waren, kamen Deutsche mit Hilfsgütern in diese Dörfer. Heute – 30 Jahre nach dem Krieg – sind die Häuser wieder, wenn auch durch ein Erdbeben zerstört. „Und wieder sind es Deutsche, die uns in der Not helfen – ein Beweis über die tiefe deutsch- kroatische Freundschaft.“ Nach dieser Übersetzung sagten gegenseitige Blicke mehr als tausend Worte.
In der Zwischenzeit war klar, dass der erste Zug weit vor den anderen zur Abfahrt bereit stehen würde. Mehrere 40- Tonner, die nicht in die kleinen Orte fahren konnten, wurden nach der Entladung aus dem zweiten Zug herausgelöst und dem ersten zugeordnet. Der Rest des 2. Zuges und dritte Zug schloss sich zu einem Verband aus 15 Fahrzeugen zusammen und war nach der Entladung wieder am ersten Sammelpunkt, einer Schule in Glina abfahrbereit.
 
Während der erste aus 27 Fahrzeugen bestehende Verband bereits gegen 17.50 Uhr in Richtung Heimat aufbrach, versuchte der zirka zweieinhalb Stunden entfernte zweite Verband gegen 18.30 Uhr die Abfahrt mit 15 Fahrzeugen ab Glina. Dabei stellte sich die Abreise als äußerst problematisch dar, da Aufgrund eingestürzter Häuser und aufgerissener Straßen das Navi nicht mehr brauchbar war. Der Verband kam mit seinen Fahrzeugen, von 2,5 bis 18 Tonnen, nicht mehr vom Fleck.
Durch zwei Mannschaftstransportwagen wurden kurzerhand mehrere zum festsitzenden Zug verlaufende Parallelstraßen aufgeklärt und schließlich nach zirka 45 Minuten und mit Hilfe deutschsprechender Kroaten („Junge, gemeinsam kriegen wir Euch hier schon raus“) eine freie Strecke aus der Stadt gefunden, die dann über über Landstraßen zur Stadt Karovac und von dort auf die Autobahn in Richtung Grenze führte.
Dank guter Kontakte ins kroatische Innenministerium wartete bereits an der Autobahnauffahrt eine Polizeieskorte, die den Zug bis zur slowenischen Grenze führte.
Beide Teilverbände waren natürlich regelmäßig über Telefonate und Kurznachrichten im Kontakt und berichteten gegenseitig, dass sie immer wieder von Fahrzeugen überholt werden, die hupen, winken, grüßen und kroatische und deutsche Flaggen zeigen. – Wirklich tolle Gesten!
Nach rund 35 Stunden auf den Beinen war allen Beteiligten klar, dass wir nur mit ausreichend Pausen unfallfrei und gesund nach Hause kommen. Am 3. Januar also hat sich der 1.Teilverband um kurz vor 2 Uhr morgens über Funk in Bernau zur Testung angemeldet und konnte gegen 3.30 Uhr aufgelöst und selbständig in die jeweiligen Feuerwehren einrücken.
Nach vielen Stops war um 5 Uhr auch die Ankunft des 2. Teilverbandes in Bernau an den Kreisbrandrat und den Wasserburger Kommandanten zu vermelden. Gegen 6 Uhr ging es auch für diese Kameraden mit negativen Testergebnissen und 47-Stunden-Aktion nach Hause.
Es passt bei einer solchen Gemengenlage schon fast wie die Faust aufs Auge, dass der Wasserburger Kommandant und sein Führungsassistent genau bei der Ankunft im Feuerwehrhaus auch gleich noch einen Einsatz bekamen und zu einer dringenden Wohnungsöffung fuhren.
Sicherlich stehen bei derartigen Aktionen mit enormen Öffentlichkeitsinteresse einige wenige die den Transport durchführen und begleiten im Fokus. Dennoch ist herauszuheben, dass man die Vor- und Zuarbeit von Feuerwehrangehörigen und Privatversonen im Landkreis Rosenheim nicht hochgenug einordnen kann, und der Grundstein für den Erfolg war.

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Stefan Gartner